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Atlantis

Titel: Atlantis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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schon auf dem Weg die Treppe hinunter. Die hallenden Geräusche seiner Krücken erinnerten mich an den kürzlich abgereisten Frank Stuart.
    Dearie drehte sich wieder zu Skip um. Er hatte die Hände zu Fäusten geballt und in die Hüften gestemmt. Ein Paar Hundemarken baumelte ihm vor der Brust auf seinem weißen
T-Shirt. Sein Vater habe sie in Frankreich und Deutschland getragen, erklärte er uns; er habe sie getragen, als er hinter einem Baum gelegen und sich vor dem MG-Feuer versteckt habe, das zwei Männer seiner Kompanie getötet und vier weitere verwundet habe. Was das mit dem Vietnamkonflikt zu tun hatte, wusste keiner von uns so genau, aber es war eindeutig eine große Sache für Dearie, deshalb fragte keiner von uns nach. Selbst Ronnie hatte genug Verstand, seine Klappe zu halten.
    »Wenn wir zulassen, dass sie Südvietnam erobern, dann werden sie auch Kambodscha erobern.« Dearies Blick wanderte von Skip zu mir, zu Ronnie … zu uns allen. »Dann Laos. Dann die Philippinen. Ein Land nach dem anderen.«
    »Wenn sie das können, haben sie’s vielleicht verdient, zu gewinnen«, sagte ich.
    Dearie sah mich schockiert an. Ich war selbst schockiert, aber ich nahm es nicht zurück.

23
    Vor den Thanksgiving-Ferien gab es noch eine weitere Runde Vorprüfungen, und die war für die jungen Stipendiaten von Chamberlain Zwei eine Katastrophe. Inzwischen hatten die meisten von uns begriffen, dass wir eine Katastrophe waren, dass wir eine Art Gruppenselbstmord begingen. Kirby McClendon vollführte seine Ausflippnummer und verschwand wie ein Kaninchen bei einem Zaubertrick. Kenny Auster, der bei den Marathonspielen normalerweise in der Ecke saß und in der Nase bohrte, wenn er sich nicht entscheiden konnte, welche Karte er als nächste
ausspielen sollte, war eines Tages einfach fort. Er hinterließ eine Pik-Dame auf seinem Kopfkissen, über die er die Worte »Ich höre auf« geschrieben hatte. George Lessard tat es Steve Ogg und Jack Frady gleich und zog in die Chad, das Wohnheim für Leute mit Köpfchen.
    Sechs weg, und noch dreizehn übrig.
    Das hätte genügen sollen. Zum Teufel, schon das, was mit dem armen alten Kirby passiert war, hätte genügen sollen; in den letzten drei oder vier Tagen, bevor er ausflippte, zitterten seine Hände so sehr, dass er kaum noch die Karten aufnehmen konnte, und er schreckte auf seinem Platz zusammen, wenn jemand draußen auf dem Flur die Tür knallte. Kirby hätte genügen sollen, aber es reichte immer noch nicht. Und die Zeit, die ich mit Carol verbrachte, war auch keine Lösung. Wenn ich wirklich mit ihr zusammen war, ja, dann ging es mir gut. Wenn ich mit ihr zusammen war, wollte ich nur Informationen (und sie vielleicht vögeln, bis ihr die Socken von den Füßen fielen). Aber wenn ich im Wohnheim war, besonders in diesem gottverdammten Aufenthaltsraum im zweiten Stock, wurde ich zu einem anderen Peter Riley. In dem Aufenthaltsraum im zweiten Stock war ich mir selbst fremd.
    Als Thanksgiving näherrückte, setzte eine Art blinder Fatalismus ein. Allerdings sprach keiner von uns darüber. Wir sprachen über Filme oder über Sex (»Ich verleg öfter ein Rohr als die gesamte Klempnerinnung von Maine!«, pflegte Ronnie zu krähen, normalerweise ohne Vorwarnung und ohne jede gesprächsweise Einleitung), aber meistens redeten wir über Vietnam … und über Hearts. Unsere Gespräche über Hearts drehten sich darum, wer vorn lag, wer zurücklag und wer offenkundig außerstande war, die wenigen
simplen strategischen Kniffe des Spiels zu erlernen: sich in mindestens einer Farbe blankspielen; jemandem, der gern Durchmärsche versucht, mittlere Herzen weitergeben; wenn man einen Stich nehmen muss, dann immer mit einer hohen Karte.
    Unsere einzige wirkliche Reaktion auf die sich drohend abzeichnende dritte Vorprüfungsrunde bestand darin, dass wir das Spiel als eine Art endloses, sich im Kreis drehendes Turnier organisierten. Wir spielten immer noch um einen Nickel pro Punkt, aber nun auch um »Matchpunkte«. Das System für die Verleihung von Matchpunkten war ziemlich kompliziert, aber Randy Echolls und Hugh Brennan arbeiteten in zwei fieberhaften Nachtsitzungen eine gute Formel aus. Beide fielen übrigens in ihren Einführungskurse in Mathematik durch; keiner von ihnen wurde am Ende des Wintersemesters aufgefordert, weiter daran teilzunehmen.
    Dreiunddreißig Jahre sind seit jener Prüfungsrunde vor Thanksgiving vergangen, und der Mann, der aus dem Jungen geworden ist, zuckt bei der

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