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Atlas eines ängstlichen Mannes

Atlas eines ängstlichen Mannes

Titel: Atlas eines ängstlichen Mannes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Ransmayr
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zerstörten Wohnungen, Häuser, Tempel, diese verminten Felder und vergifteten Landstriche, aus denen nicht nur die Menschen, sondern auch die Elefanten, die Tiger, die Affenhorden und am Ende selbst die Vögel verschwunden waren – war dies das Werk von Menschen gewesen oder nicht vielmehr das von Dämonen und bösen Geistern Besessenen? Konnten denn Menschen, die nicht von Dämonen beherrscht wurden, tatsächlich wollen, planen, tun, was in seinem Land geschehen war?
    Er habe seinen Sohn Lae genannt, hatte Sang gesagt, Lae, das bedeute der
Dunkle
, und er habe sich oft über die Wiege des Säuglings gebeugt und laut darüber geklagt, wie häßlich, wie entstellt, ja monströs dieses Kind sei, sein Antlitz eine Fratze, seine Hände Klauen. Dabei war er immer überzeugt gewesen, daß es in Huay Xai kein schöneres Kind geben konnte als seinen Sohn. Aber in Laos versuche man eben mit solchen Klagen die Dämonen in die Irre zu führen und sie durch Schmähungen selbst der eigenen Kinder von jenem Haß und jener Eifersucht abzubringen, die ein Dämon gegenüber jedem geliebten und liebenden Wesen empfand. Wer würde denn schließlich ein Scheusal um seine Schönheit beneiden? Wer einem Monster, das ohnedies mit seiner Widerlichkeit geschlagen war, aus Eifersucht schaden wollen?
    Lae, der Dunkle, hatte das Boot in den vergangenen Tagen so sicher geführt wie sein Vater. In der kommenden Nacht, schon auf der Rückfahrt, zwei Stunden stromaufwärts, würde er das leere Boot an einem Landesteg bei den
Pak-Ou
-Höhlen, den
Höhlen der Tausend Buddhas
, festmachen, um dort ein Opfer zu bringen. In diesen Karsthöhlen über dem Mekong hinterließen Wallfahrer seit Jahrhunderten Buddhastatuen aus Ton, Holz und Stein als Gaben der Demut und Dankbarkeit und auch, wenn sie einen neuen Lebensabschnitt begannen, und Lae würde diese ungezählte Tausendschaft um einen weiteren Buddha vermehren, eine Figur so groß wie ein Wasserkrug, gemeißelt aus einem Stein von den Schotterbänken bei Huay Xai.
    In den Tagen unserer Stromfahrt hatte Lae den Blick nie vom Fahrwasser gewendet, wenn sein Vater mit seinen Passagieren sprach oder erzählte, sondern dem einen wie den anderen meist schweigend zugehört. Aber jetzt wandte er sich uns zu und zeigte auf eine dünne, ferne Rauchsäule, die hinter der nächsten Strombiegung aufstieg. Das war der Rauch von Luang Prabang. Und weit vor uns, irgendwo zwischen Strommitte und dem schwarzgrünen Dschungel am rechten Ufer, wurde einmal mehr jenes Rauschen hörbar und allmählich lauter, mit dem das Wasser über Felsen oder verkeilte Baumstämme hinwegsprang. Und ich sah, wie Bootsmann Sang seine Hand hob, vielleicht, um sie noch einmal auf die Schulter seines Sohnes zu legen, sah dann aber, wie er sie in Brusthöhe wieder sinken ließ und dabei über sein Hemd strich, als wollte er dort bloß Falten glätten, zierliche Wellen aus Seide.

Abschied
    Ich sah eine leere Parkbank, eine von dreien, die auf dem Marktplatz der oberösterreichischen Gemeinde Lambach vor dem schmiedeeisernen Zaun des angrenzenden Apothekergartens standen. Auf diesen Bänken nahmen Fahrgäste Platz, die an der Haltestelle am Apothekergarten einen Linienbus besteigen wollten, um von hier entweder der Alpenkette und einem davorliegenden Seengebiet im Südwesten entgegenzufahren oder einer flachen zersiedelten Agrar- und Industrielandschaft im Nordosten, die auf den Karten der Region als
Welser Heide
erschien.
    Auf der mittleren dieser drei Bänke hatte jener Mann gesessen, den an diesem Mittwochmorgen im Juli einige Passanten als einen seit Jahren verwitweten und nun mit einer beliebten Bürgerin der Gemeinde befreundeten pensionierten Lehrer kannten und grüßten. Der Tag war wolkenlos und sollte, der Wettervorhersage nach, bei aufkommendem schwachen Westwind und geringer Gewitterneigung heiß werden. Deshalb trug der Lehrer auch seine alte Schultasche nicht bei sich, in die er bei instabileren Aussichten einen Regenmantel und einen marineblauen Pullover packte, wenn er mit dem Bus in sein acht Kilometer entferntes Heimatdorf fahren wollte, das er nach dem Tod seiner Frau vor achtzehn Jahren verlassen hatte.
    Er saß an diesem Vormittag gemeinsam mit seiner Freundin auf der mittleren der drei Parkbänke – wie üblich lange vor Abfahrt jenes Busses, der ihn zum Friedhof dieses Dorfes bringen sollte. Er unternahm diese Fahrt zweimal jede Woche, um am Grab seiner Frau ein Wachslicht zu entzünden, das mehrere Tage, zumindest

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