Atlas eines ängstlichen Mannes
mit der Zerstörungskraft des Zyklons genannt wurde und Nachrichtensendungen und Titelseiten immer noch beherrschte:
King Fish
.
King Fish, ein nach der Königsmakrele getaufter Fischkutter, war am Tag vor dem Herannahen des Sturmtiefs mit neun Mann Besatzung aus dem Hafen von Port Louis mit Kurs auf Saint Brandon, einen aus zwei Dutzend winzigen, zumeist unbewohnten Inseln bestehenden Archipel nordöstlich von Mauritus, ausgelaufen und war dort, im Auge des Orkans, aus dem Funkverkehr und allen Kontrollsystemen der Küstenwache verschwunden.
Während in Mauritius Palmenhaine entwurzelt, Blechschuppen davongeweht, mit Balken und Brettern vernagelte Türen und Schaufenster zerschmettert wurden und Dachziegel und Glasbruch als unberechenbare Geschosse durch die Luft schwirrten, kam irgendwo aus dem Insellabyrinth von Saint Brandon der letzte Funkspruch von King Fish. Die Nachricht enthielt keinerlei Hinweise auf Seenot oder Panik: Die See sei rauh, die Mannschaft wohlauf, alles in Ordnung. Und dann Funkstille.
Fünf Tage nachdem der Zyklon in östlicher Richtung weitergerast war und die Wellenhöhen, wie beschwert von Treibgut und so vielen Trümmern, flacher und flacher wurden, entdeckte ein Pilot der Seerettung aus dem Cockpit eines Dornier-Flugzeugs den Kutter weitab vom Suchgebiet am Strand des nur zeitweilig bewohnten
Coco Island
im Saint-Brandon-Archipel. Einen Tag danach erreichte ein Boot der Küstenwache den gestrandeten Kutter:
King Fish saß auf Grund. Die Reling und ein Teil des Schanzkleides an der Steuerbordseite waren zwar zertrümmert, das Schiff aber ohne Leck, das Dach des Ruderhauses davongeweht, die Kajüten trocken. Navigations- und Funkgeräte, Lebensmittel, Lampen und Wasserflaschen waren über Böden, Tische und Kojen verstreut. Im Kühlraum lag ein reicher Fang auf Eis – Thunfische und Königsmakrelen, selbst Blaue Marline. Von der Besatzung allerdings fehlte jede Spur.
Daß ein Kutter im Sand von Coco Island lag, nahezu unversehrt, die Kajüten trocken und mit Ausrüstung, Trinkwasser und allem Überlebensnotwendigen versehen, von den Seeleuten aber trotzdem verlassen worden war, schien die Phantasie aller vom Zyklon Betroffenen mehr zu beschäftigen als andere, katastrophalere Tatsachen der Sturmtage. Denn daß Fischerboote, ja ganze Konvois spurlos verschwinden konnten … daß Trawler im Sturm kenterten, gegen Riffe trieben, leck schlugen oder auseinanderbrachen und zum Meeresgrund sanken, ohne etwas anderes als Ölspuren zu hinterlassen, und daß die Hütten und windschiefen Häuser der Armen von Port Louis sich unter der Gewalt des Windes einfach in die Luft erhoben, während die fest gebauten Häuser der Reichen jedem Unwetter standhielten – alles das folgte den Gesetzen eines Zyklons, aber daß die Besatzung eines gutausgerüsteten Schiffes, das seiner Mannschaft doch besseren Schutz vor einem Orkan bieten konnte als jede Fischerhütte auf festem Land, einfach verschwand, blieb ein Rätsel, durch das sich King Fis H allmählich in ein Geisterschiff zu verwandeln begann.
Selbst als eine genauere Untersuchung der Küstenwache ergab, daß die Maschine des Kutters defekt, dann auch noch Wasser in den Maschinenraum eingedrungen, das Schiff dadurch manövrierunfähig geworden und wohl deswegen aufgegeben worden war und die Besatzung vermutlich versucht hatte, eine der zwischen Wellengebirgen versteckten Inseln von Saint Brandon mit einem aufblasbaren Rettungsfloß anzulaufen, blieb das einmal heraufbeschworene Bild stärker als das Resultat jeder Nachforschung: Ein Geisterschiff. Es war ein Geisterschiff, das schließlich in den Hafen von Port Louis geschleppt wurde.
Ich weiß nicht, ob dieses Schiff für die Passagiere des Bootstaxis einer der Gründe gewesen war, von Péreybère nach Port Louis zu fahren. Ich hatte keine Ahnung, in welcher der mehr als zwanzig Sprachen, die auf Mauritius gesprochen wurden, sich die drei Frauen während dieser Fahrt unterhielten, und die elsässischen Hochseeangler hatten sich in ein Gespräch über Köder und Haken vertieft, von dem ich auch nicht viel verstand. Der Steuermann sprach kein Wort, und ich fragte mich, ob ich es wohl noch vor der Mittagsruhe ins Büro jener Reederei in Port Louis schaffen würde, in dem ich eine Überfahrt nach Madagaskar buchen wollte … Aber als wir unter einer stechenden Sonne in die Hafenzone der Hauptstadt einfuhren und die King Fish vertäut an einem Pier sahen, unterbrachen die Frauen ihr Gespräch ebenso
Weitere Kostenlose Bücher