Atme nicht
erzählen.« Sie schluckte. Ihr Gesicht hatte sich gerötet. »Ich weiß, dass es schwer für dich ist und du nicht darüber sprechen möchtest, okay … deshalb versuche ich ja, über ein Medium was rauszufinden. Aber ich glaube trotzdem, dass du aus einem ganz bestimmten Grund ein Teil von all dem bist. Ich meine, als ich dich am Wasserfall angesprochen habe, hättest du ja sagen können, ich soll mich verpissen, aber das hast du nicht. Seitdem bist du bei mir geblieben. Und deshalb vertraue ich keinem Medium, das mich auffordert, dich aus dem Zimmer zu schicken.«
Sie trat aufs Gaspedal und fuhr weiter. »Jedenfalls war Paula nicht unser letzter Versuch. Um drei haben wir noch einen Termin.«
»Was?«
»Ja, ich habe beschlossen, es bei zwei verschiedenen Medien zu versuchen, um die Ergebnisse miteinander vergleichen zu können. Der Besuch bei Paula hat nichts gebracht – egal. Mal sehen, was die Nächste zu bieten hat.«
Als ich ihren entschlossenen Gesichtsausdruck sah, fragte ich mich, ob wir wohl jedes Medium im Land aufsuchen würden. Wo würde das Ganze enden, wenn sie das, worauf sie aus war, auch vom nächsten Medium nicht bekam? Wie viele Besuche bei Medien waren nötig, bis Nicki aufgab? Ich hatte angenommen, dass sie nach ein oder zwei Versuchen einsehen würde, wie sinnlos die Sache war. Und damit sie in dem Moment nicht allein war, war ich bei ihr geblieben. Doch allmählich kam mir der Verdacht, dass sie, selbst wenn sie fünfzig war, ihr Geld wahrscheinlich immer noch für Medien verplempern und in der Welt herumreisen würde, um endlich jemand zu finden, der ihr sagen konnte, was sie unbedingt wissen wollte.
»Nicki«, sagte ich.
»Hör mal, Ryan, wenn du über das, was du erlebt hast, nicht sprechen möchtest, dann respektiere ich das. Aber dann darfst du dich auch nicht darüber beschweren, dass ich zu diesen Medien gehe. Wenn du mir nicht helfen willst, muss ich eben jemand finden, der dazu bereit ist.«
Und was, wenn dir niemand helfen kann?, hätte ich am liebsten gefragt, aber ich ließ es.
17
Nicki holte einen weiteren Zettel mit einer Wegbeschreibung hervor, die uns zu einem kurvenreichen, ausgefahrenen Schotterweg am Rande von Kirkville brachte. Auf einigen der Grundstücke, an denen wir vorüberkamen, grasten Ziegen oder Pferde. Hunde waren fast überall zu sehen. Es roch so stark nach Klee, Dung, Erde und Gras, dass man es fast auf der Zunge schmecken konnte.
Dass hier draußen, in dieser ländlichen Umgebung, ein Medium wohnte, hätte ich nicht erwartet. Aber andererseits war ja auch keins der anderen Medien so gewesen, wie ich erwartet hatte. Ich musste mich wohl endlich von der Vorstellung verabschieden, ein Medium müsse in wallende Gewänder gekleidet sein und eine Kristallkugel auf dem Tisch stehen haben.
Nicki zog ihre Kostümjacke aus, weil ihr zu heiß war. Das T-Shirt klebte ihr am Leib, und ich gab mir alle Mühe, nicht hinzusehen. Den größten Teil des Tages war es mir gelungen, nicht an das zu denken, was an der Raststätte auf dem Picknicktisch geschehen war. Doch von Zeit zu Zeit fiel es mir wieder ein – und dann spürte ich förmlich, wie die Luft zwischen uns vibrierte. Ich hatte keine Ahnung, ob sie es auch spürte, aber fragen würde ich sie ganz bestimmt nicht.
Nicki fuhr mit dem Truck auf eine schlammige Auffahrt voller Schlaglöcher. Ich stemmte meine Arme gegen das Wagendach, um mir nicht den Kopf zu stoßen. »Scheiße«, sagte sie. »Hoffentlich bleibe ich nicht stecken.«
»Das schaffen wir schon«, erwiderte ich. Keine Ahnung, warum ich mir ausgerechnet diesen Moment ausgesucht hatte, um Optimismus an den Tag zu legen. Beim nächsten Schlagloch riss es mir fast den Kopf vom Hals.
Die Auffahrt quetschte sich zwischen Bäumen hindurch, die dicht am Weg standen. Wir machten halt, um die Fenster hochzukurbeln. Als wir weiterfuhren, peitschten Zweige gegen das Glas. Schließlich erreichten wir ein kleines braunes Haus, das einen ziemlich heruntergekommenen Eindruck machte. Der Fußboden der Veranda hing in der Mitte durch, die Holzpfosten waren rissig und verwittert. Von der untersten Stufe blinzelte uns eine Katze mit verfilztem Fell an.
»Tja«, sagte Nicki. »Ich denke, wir sind da.«
Ich wartete darauf, dass sie ausstieg, weil ich ihr klarmachen wollte, dass wir nicht in dieses Haus gehen mussten, dass sie jederzeit einen Rückzieher machen konnte. Aber das war wahrscheinlich gar nicht nötig, denn wenn ich Nicki richtig einschätzte,
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