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Atme nicht

Atme nicht

Titel: Atme nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer R. Hubbard
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blieb. Über ein Jahr lang war dieser Pullover für mich nichts als eine peinliche Erinnerung gewesen.
    »Oh.« Sie trat einen Schritt zurück, rollte den Pullover mit spitzen Fingern zusammen und stopfte ihn wieder in die Tüte. »Das … wusste ich nicht.« Ich hätte entgegnen können, dass sie durchaus gewusst oder zumindest geahnt hatte, was ich für sie empfand, aber offenbar hatte sie mich völlig vergessen. Was keine Rolle spielte. »Und warum bringst du ihn mir jetzt zurück?«
    »Weil ich es einfach für richtig hielt. Es hat mich immer belastet, dass ich ihn gestohlen habe, und das Ganze tut mir leid.«
    »Tja.« Sie nickte, ohne mich anzusehen. Stattdessen blickte sie rasch zur Seite, als suche sie nach einem Fluchtweg. »Ist das alles?«
    »Ja.«
    Sie betrachtete die Tüte mit dem Pullover und runzelte die Stirn. »Weißt du was? Würde es dir was ausmachen … könntest du ihn nicht einfach in die Altkleidersammlung oder so geben?«
    Fast hätte ich aufgestöhnt. Nachdem ich das verdammte Ding endlich losgeworden war, sträubte sich alles in mir dagegen, es wieder an mich zu nehmen. Doch ich musste die Sache bis zum Ende durchziehen. Ich konnte verstehen, warum sie den Pullover nicht zurückhaben wollte. Deshalb sagte ich: »In Ordnung. Wenn du das möchtest.«
    »Gut.« Sie ließ die Tüte neben mich auf die Bank fallen. »Danke«, sagte sie und ging davon.
    Ich radelte zur Nichols Avenue hinüber, wo immer ein Altkleidercontainer gestanden hatte. Er war noch da. Ich zog die Metallklappe nach unten und warf die Tüte mit dem Pullover hinein. Dann machte ich mich auf den Weg nach Hause. Jetzt war ich ihn endgültig los.

20
    Ich hatte erwartet, dass ich danach wie auf Wolken schweben würde. Und während ich nach Hause fuhr, gab es tatsächlich Momente, wo ich breit in mich hineingrinste und mich so beschwingt fühlte, dass die Pedalen sich wie von selbst zu drehen schienen. Doch diese Phasen wechselten sich mit anderen ab, in denen mich die Angst packte. Amy Trillis kannte jetzt mein Geheimnis. Ausgerechnet Amy Trillis. Ich konnte mir gut vorstellen, wie sie jedem in West Seaton von mir erzählte. »Du wirst nie glauben, was mir gerade Merkwürdiges passiert ist«, würde sie vielleicht sagen, und die ganze Welt würde erfahren, dass ich ein erbärmlicher Stalker war.
    Aber möglicherweise sagt sie auch gar nichts, dachte ich, als meine Hochstimmung sich wieder einstellte. Offenbar hatte sie alldem ja keine große Bedeutung beigemessen. Sie hatte den Pullover noch nicht einmal zurückhaben wollen und schien die ganze Sache einfach vergessen zu wollen.
    Irgendwann wurde mir dann klar, dass es mich nicht mehr interessierte, ob Amy Trillis mich für merkwürdig hielt. Ich hatte ihr in die Augen gesehen, und obwohl ich ihr die Wahrheit gesagt hatte, hatte sie mich nicht ausgelacht. Ich wollte zwar nicht unbedingt, dass alle Welt wusste, dass ich ihren Pullover gestohlen hatte, aber ich würde damit leben können, falls es doch bekannt wurde.
    In Seaton machte ich kurz halt, um auf dem Parkplatz eines Minimarkts einen dieser blauen Energy Drinks zu trinken. Vor dem Laden lungerten fünf Kids aus meiner Schule rum. Sie waren ein bisschen jünger als ich. Einige kannte ich mit Namen, hatte aber nie viel mit ihnen geredet.
    »Ist das der Psycho?«, fragte einer von ihnen. Ich nahm einen Schluck von meinem Drink und starrte in die andere Richtung, hörte aber zu.
    »Ja, glaub schon. Ist Nicki nicht seit einiger Zeit ständig mit dem zusammen?«
    »Genau. Möchte wissen, was in die gefahren ist.«
    Alle lachten. Dann sagte ein Mädchen mit spindeldürren Beinen und langen glänzenden Haaren: »Keine Sorge, sie hat mir versichert, dass sie nicht mit ihm geht oder so. Sie ist nur nett zum Loser der Schule.«
    Weiteres Gelächter. »Kann schon sein, aber wozu denn?«
    Mein Drink war alle. Ich setzte mich wieder aufs Fahrrad und fuhr davon, nachdem ich die Flasche in einen Container für Plastikmüll geworfen hatte. Der Asphalt flimmerte in der Hitze. Hinter mir verklang das Gelächter der anderen, doch der Ausdruck »Loser der Schule« hatte sich mir ins Gehirn gebrannt.
    Obwohl ich mich nach der langen Fahrt mit dem Fahrrad zu Hause am liebsten aufs Bett geworfen hätte, beschloss ich, zum Wasserfall zu rennen. Ich hatte ein ernstes Wörtchen mit Nicki zu reden.
    Sie war jedoch nicht da. Stattdessen stieß ich auf Kent, der wie immer eine Zigarette im Mund hatte.
    »Hey«, sagte er.
    »Hey.« Keuchend beugte ich

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