Atme - wenn du kannst!
meine Probleme zu vergessen.“
Emily sprach die Wahrheit, als sie das sagte. Es war ihr oft sehr schlecht gegangen, als Jim ihr ständig aufgelauert und sie nirgendwo Ruhe vor ihm gehabt hatte. Nur im Schwimmbad konnte er sie nicht verfolgen. Die bulligen Securitys dort kannten sein Gesicht, seit er einmal am Eingang ausgerastet war. Seitdem hatte Jim in dem Hallenbad Hausverbot auf Lebenszeit. Beim Schwimmen oder Tauchen hatte Emily sich stets frei gefühlt. Es war ihre Art, die Sorgen und Befürchtungen hinter sich zu lassen, wenn auch jeweils nur für wenige Stunden. Aber es hatte funktioniert, und deshalb liebte sie das Tauchen so sehr. Im Wasser war sie frei. Konnte man sich etwas Schöneres vorstellen?
„Du hast Probleme, Emily? Das tut mir leid.“
„Wieso? Du kennst mich doch gar nicht, Andy. Hast du keine Probleme? Sicher hast du welche, sonst wärst du wohl nicht im Knast gelandet, oder?“
Emily hatte das Thema eigentlich nicht wieder aufwärmen wollen. Aber es beschäftigte sie, was in Andys Vergangenheit vorgefallen war. Er reagierte jedenfalls nicht beleidigt, sondern nickte nur ernst.
„Siehst du mein Tattoo? Die Gang, die es mir gestochen hat, gibt es nicht mehr. Aber ich behalte es, damit ich nie wieder Blödsinn mache. Es soll mich immer an das Jugendgefängnis erinnern.“
„Was ist denn eigentlich passiert, Andy?“
„Ich war ein Teenie und hatte die falschen Freunde. Wir sind mit einer anderen Gang aneinandergeraten, und ich habe einen Jungen verletzt. Du siehst, ich bin kein strahlender Held ohne Fehler. Jeder hat in seinem Lebensbuch finstere Kapitel, oder? Aber du musst zugeben, dass es hier verflixt schwierig ist, in düstere Stimmung zu verfallen.“
Andy machte eine umfassende Armbewegung, deutete auf das flaschengrüne saubere Wasser, den strahlenden Sommerhimmel und den weißen Schiffsrumpf der Fortuna. Emily musste unwillkürlich grinsen. Wer in einer solchen Atmosphäre Trübsal blies, dem war wirklich nicht mehr zu helfen. Sie fasste sich ein Herz und nahm sich vor, ab sofort ein wenig offener zu sein.
„Die Karibik hat mich immer schon beeindruckt“, erzählte Andy. „Vielleicht liegt es ja daran, dass ich in Minnesota aufgewachsen bin. Und das ist eine verflixt kalte und ungemütliche Ecke der Staaten, das kannst du mir glauben. Aber der Hauptgrund für diesen Tauchurlaub ist das Schicksal meines Vorfahren Jeremias Jackson.“
„Wieso, was war denn mit ihm?“
„Jeremias Jackson fuhr als Zweiter Offizier auf einem Kriegsschiff der USA. Im Jahre 1812 war Louisiana gerade erst ein amerikanischer Bundesstaat geworden, zuvor war dieses Gebiet eine französische Kolonie. Das Schiff meines Vorfahren hatte Kurs auf Florida genommen, als es plötzlich von mehreren Piratenbooten angegriffen wurde.“
„Wow, das ist ja wie in diesen Filmen mit Johnny Depp.“
„Ja, nur in Wirklichkeit muss es wesentlich blutiger und brutaler zugegangen sein. Die Seeräuber wollten verhindern, dass der frischgebackene amerikanische Staat ihre dunklen Geschäfte stört. Deshalb hatten sie es besonders auf unsere Kriegsmarine abgesehen. Reichtümer gab es an Bord der Seahawk nämlich nicht zu holen. So hieß das Schiff, auf dem Jeremias Jackson gedient hat.“
Je mehr Andy aus dieser längst vergangenen Zeit berichtete, desto aufgeregter wurde Emily. Und das lag nicht nur daran, dass er packend erzählen konnte. Es war, als würde sie die damaligen Ereignisse selbst miterleben. Die Fortuna schaukelte schließlich auf dem Meer, wo sich einst dieses Abenteuer abgespielt hatte.
„Was ist dann geschehen?“, drängte Emily. Sie wollte unbedingt erfahren, wie die Geschichte weiterging.
„Die Übermacht war zu groß, also versuchte die Seahawk zunächst zu fliehen. Aber die Piraten hatten leichte Boote mit guter Besegelung und ließen sich nicht abschütteln. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie das amerikanische Kriegsschiff entern würden. Und dann hätte es garantiert keine Überlebenden gegeben.“
„Aber so ist es ja nicht gekommen, oder?“
„Stimmt genau. Woher weißt du das, Emily?“
„Ich habe es mir gedacht. Wenn dein Vorfahre damals umgekommen wäre, dann würdest du gar nicht geboren worden sein.“
„Ja, so hatte ich das noch gar nicht gesehen“, meinte Andy lächelnd. „Auf jeden Fall scheiterte die Flucht, also kam nur der Kampf infrage. Der Kapitän muss ein richtiger Satansbraten gewesen sein. Er entschloss sich zu einem überraschenden Manöver. Bevor die
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