Atme - wenn du kannst!
Seeräuber entern konnten, änderte er den Kurs und rammte eines der Boote.“
„Damit haben die Piraten bestimmt nicht gerechnet.“
„Nein, sie hatten keine Chance. Ich glaube nicht, dass es Überlebende gab. Als Nächstes feuerte die Seahawk eine Breitseite gegen die verbliebenen zwei Angreifer ab. Eine Kanonenkugel traf das größere Piratenboot unter der Wasserlinie. Es ging im Handumdrehen unter, wie es in den alten Chroniken heißt.“
„Und was wurde aus dem dritten Seeräuber-Segler?“
„Nach dem Motto ‚Angriff ist die beste Verteidigung‘ stürzte sich das amerikanische Kriegsschiff auf die Piraten. Unsere Marines schossen mit ihren Musketen von der Takelage aus auf die Seeräuber. Dann enterten sie das Piratenboot. Auch mein Vorfahr Jeremias Jackson stürzte sich mit gezogenem Säbel in den Kampf Mann gegen Mann. Die Piraten wehrten sich mit dem Mut der Verzweiflung. Sie wussten, dass in New Orleans nur der Galgen auf sie wartete. Aber schließlich hatten die Seeräuber keine Chance mehr. Jeremias Jackson durchsuchte mit einigen Matrosen das Piratenboot nach versteckten Gegnern. Und dann entdeckte er sie.“
„Wen, Andy?“
„Charlotte Regnier, meine spätere Urururgroßmutter. Es muss Liebe auf den ersten Blick gewesen sein, jedenfalls stelle ich es mir so vor. Charlotte Regnier war gemeinsam mit einigen anderen jungen Frauen bei einem Piratenüberfall gekidnappt worden. Die Seeräuber hatten sie in ihr Versteck schaffen wollen, um sie dort als Liebessklavinnen gefangen zu halten. Daraus wurde nun natürlich nichts mehr. An Bord der Seahawk kehrten die Frauen zurück nach Louisiana. Es dauerte nicht lange, bis Jeremias um Charlottes Hand anhielt.“
Emily stieß langsam die Luft aus.
„Puh, das ist wirklich eine sehr dramatische und gefühlvolle Geschichte. Willst du hier etwa nach den Wracks der Piratenboote tauchen?“
„Nein, nicht wirklich. Ich weiß gar nicht, wo genau dieses Seegefecht stattgefunden hat. Darüber sagen die Chroniken nichts aus. Aber ich wollte unbedingt einmal die Karibik kennenlernen, und nur am Strand zu liegen ist mir zu langweilig. Deshalb mache ich diesen Tauchurlaub. Außerdem habe ich gerade mit meinem Studium an der Filmakademie angefangen. Ich muss noch eine Menge lernen, aber vielleicht wirke ich irgendwann auch mal an einem Piratenfilm mit. Natürlich nicht als ein neuer Jack Sparrow, sondern hinter der Kamera oder als Regisseur. Das wäre jedenfalls mein Traum.“
Emily nickte Andy lächelnd zu. Sie sah ihn nun mit anderen Augen. Er war gar nicht arrogant, und offenbar bildete er sich nichts auf sein gutes Aussehen ein. Sie konnte ganz locker mit ihm reden, als wenn sie ihn schon eine halbe Ewigkeit kennen würde. Während Andy von seinen Vorfahren erzählt hatte, hatte sich Emily in die Lage dieser Charlotte versetzt. Sie stellte es sich schrecklich vor, wehrlos in den Händen von skrupellosen Seeräubern zu sein. Charlotte hatte sich vermutlich genauso ausgeliefert gefühlt wie Emily, als sie noch von ihrem Ex verfolgt worden war. Doch plötzlich war Charlotte von Jeremias Jackson gerettet worden. Konnte man sich etwas Romantischeres vorstellen?
„Emily und Andy – haltet euch zum Tauchen bereit!“
Kendalls Stimme riss sie aus ihrer verträumten Stimmung. Nun musste Emily sich ganz auf das Hinabgleiten ins Wasser konzentrieren. Es war schon im Swimmingpool riskant, sich einen Fehler zu leisten. Hier, auf offener See, wollte sie auf gar keinen Fall etwas falsch machen.
Sie feuchtete ihre Maske und ihren Schnorchel an, wie sie es zuvor unzählige Male geübt hatte. Eine Sauerstoffflasche hatte Emily nicht auf dem Rücken. Kendall wollte das korrekte Eintauchen in wenige Meter Tiefe ohne Atemgerät trainieren. Am liebsten hätte sie sich mit einer spektakulären Rolle vorwärts ins Wasser begeben, um Andy zu beeindrucken. Doch im letzten Moment entschied sie sich für einen vernünftigeren Weg und tauchte mit einem Spreizsprung in das grünblaue Karibikwasser ein. Bei dieser Variante kam man auf Anhieb zwar nicht sehr tief, aber die Verletzungsgefahr war gering.
Unter Wasser musste sich Emily kurz orientieren. Fasziniert sah sie einen Fischschwarm vorbeiziehen. So etwas hatte sie noch nie live erlebt, denn im Schwimmbad gab es einen solchen Anblick natürlich nicht. Aber dann schob sich der Tauchlehrer in ihr Blickfeld. Kendall war leicht an seinem orangefarbenen Neoprenanzug zu erkennen. Außerdem sah man den Vollbart unterhalb der
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