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Atmen, bis die Flut kommt: Roman (German Edition)

Atmen, bis die Flut kommt: Roman (German Edition)

Titel: Atmen, bis die Flut kommt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Rothmaier
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Rand eines Gewaltakts. Ich sammelte meine Kräfte und riss mich zusammen, um ihr sagen zu können, dass ich zum letzten Mal gekommen sei, dass es aus sei mit uns, dass ich nach Belgien gehen würde oder zurück nach Deutschland. Dies sei die Trennung, ich wolle sie nicht wiedersehen, nie mehr wiedersehen. Stockend kam das heraus. In Satzbruchstücken, dabei war mir selten so ernst. Doch Paule lachte immer noch. Oder wieder.
    »Aprilapril«, sagte sie und gluckste. Mit der bekannten Geste klopfte sie auf den Rand ihres Bettes zum Zeichen, dass ich mich setzen sollte, was ich nicht tat, doch trat ich einen Schritt näher.
    »Wenn du letztes Mal nicht einfach davongelaufen wärest, hätte ich es dir da schon gesagt«, begann sie und schien vergessen zu haben, dass sie es gewesen war, die mich weggeschickt hatte.
    Ich schwieg.
    »Ich wollte dich nicht erschrecken«, fuhr sie fort, »es war nur ein blöder Witz. Mir war nicht klar, wie sehr dich das treffen würde«, sie zögerte, suchte nach Worten, sah auf die Bettdecke, strich sie mit den Händen glatt, als wollte sie Krümel oder Fussel wegwischen. »Doch, es war mir klar. Ich hatte sogar darauf gehofft«, gestand sie.
    Ich machte eine Bewegung, um sie zu unterbrechen, doch sie winkte ab.
    »Lass mich zu Ende sprechen, bitte. Ich wusste nicht, was ich von der Schwangerschaft halten sollte, konnte mir nicht vorstellen, Mutter zu sein, kann es genau genommen immer noch nicht, dachte, auch dir sei es nicht ernst.« Sie schwieg, ihre Hände wischten und wischten, als gehörten sie nicht zu ihr. »Ich dachte, du willst mich anbinden, damit ich dich nicht verlasse, damit wir für immer aneinander gefesselt sind.«
    Gefesselt. Nichts lag mir ferner. Ich wollte das Kind. Ob ich auch Paule wollte, darüber war ich mir keineswegs im Klaren. Langsam begann mich die Sache anzustrengen, und ich versuchte mir vorzustellen, wie der kleine Mann ohne Gesicht die Fagottistin mit seinem Spiel verliebt machte, zuerst in die Musik, dann in sich.
    Die Situation blieb undurchsichtig, Paule trieb mich vor sich her, ich fühlte mich wie ein Plastiksack im Wind und wollte nach Hause. Doch es kam noch ärger.
    »Konrad, ich hab dir nicht die Wahrheit gesagt«, fuhr sie fort. »Es ist nämlich so … das Kind … ich habe es nicht wegmachen lassen. Es ist noch da, es geht ihm gut … mir auch … ich habe Angst.«
    Sie öffnete die Schublade ihres Nachttischs und zog eine Folie von der Größe einer Postkarte hervor, die mit grauen Schlieren und Wolken bedruckt war. »Hier.«
    Auf dem Ultraschallbild war ein Etwas von der Größe eines Seepferdchens zu erkennen. Es lag auf dem runden Rücken, und aus der Mitte der Bauchkrümmung schauten zwei Armstummel hervor. Unten aufgedruckt war das Datum (gestern), Uhrzeit (14:38) und Paules Name. Es gab keinen Zweifel. Das war unser Kind.
    »Ja«, sagte sie jetzt, »ich will das Kind bekommen. Ja. Für dich.«
    Mit dem Bild in der Hand rannte ich auf den Gang und weiter die Treppe hinab, ins Freie, dann zu Fuß quer durch die Stadt nach Hause, wo ich atemlos und glücklich ankam. Ich pinnte das Bild neben dem Zeichentisch an die Wand und stürzte mich in die Arbeit, fing mit Skizzen der Fagottspielerin an, das heißt, ich wollte es.
    Am Rand meines Gesichtsfeldes, da wo die Welt sich auflöst und verschwindet, standen die grauweißen Wolken, und sobald ich den Blick aufs Zeichenbrett heftete, bauten sie sich auf, weiteten sich, flossen auseinander, verschwammen, von Schlieren durchzogen, ineinander, wurden größer und größer, breiteten sich über die Wand aus und wucherten in den Raum, über das Zeichenbrett, bedeckten die Skizzen, die Stifte und Utensilien, meine Hände, meine Finger, die den Bleistift hielten, füllten den Raum zwischen meinen Augen und dem Papier, füllten meine Augen, meinen Kopf unaufhaltsam und vollständig aus. Ich schloss die Augen. In mir waberte ein undurchdringlicher Haufen Grau, und mittendrin klopfte sehr schnell, pulste und zuckte das winzige Herz des Seepferdchens, das mein Kind war. Liebe. Ich liebte es und konnte jetzt nichts anderes mehr denken. Alles füllte sich mit diesem seltsamen watteartigen Grau, von dem ich wusste, dass es die Liebe zu meinem Kind war, eine Liebe, die sich nirgendwo anders anheften konnte als an ein paar weißlichen Schlieren und dem steten Pulsen des linsengroßen Herzens, das von jetzt an den Takt vorgab für mein Leben, für mein ganzes Sein. Die Unausweichlichkeit nahm mir den Atem. Ich

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