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Atmen, bis die Flut kommt: Roman (German Edition)

Atmen, bis die Flut kommt: Roman (German Edition)

Titel: Atmen, bis die Flut kommt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Rothmaier
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sprang auf und lief in der Wohnung umher, haltlos vor Glück und mit der Gewissheit, dass nichts anderes mehr wichtig war. Darüber hinausdenken war nicht möglich. Keine Vorstellung, keine Idee, keine Fantasie, was jetzt kommen würde. Nur dieser einzige statische Augenblick des Glücks.

9
    Dieser Augenblick des Glücks, die Ruhe darin, fiel mir ein, als ich gut ein Dreivierteljahr später eines Morgens – das Kind rief mit zirpender Stimme –, den Arm nicht mehr heben konnte. Es ging einfach nicht. Ich steckte in einer dünnen Hülle, einem Bratschlauch aus Cellophan, durchsichtig, reißfest, luftdicht abgeschlossen, eingeschnürt in eine Röhre stummer Erwartungen. Als ich später allerdings einmal, andeutend nur, davon sprach, meinten andere, Erfahrenere, ja, so ist das, das ist ganz normal.
    Das Kind trank seine Milch langsam. Mir fehlte der Maßstab, doch schien mir eine knappe Stunde für hundert Milliliter recht lang. Dass es anschließend lange schlief, war mir recht, so hatte ich Zeit, an meinen Zeichnungen zu arbeiten und ein paar Aufträge zu erledigen. Die Gewissheit, dass Paule nicht zurückkommen würde, hatte sich unmerklich ausgebreitet. Angefangen hatte es als Mutmaßung, über die sich ein Gespinst aus Zweifeln, Missmut und Selbstbeschwichtigung legte, bis sie sich zum Verdacht, dann zur Sicherheit auswuchs; was folgte, war eine Unruhe, die mich ziellos herumtrieb. Paules Adressbuch hatte ich noch von der Parisreise in meiner Manteltasche. Nun kramte ich es hervor und telefonierte systematisch alle Nummern durch, ließ auch Behörden, Ärzte und auswärtige Anschlüsse nicht aus. Auch Paules Professor an der ETH , Departement Informatik, bei dem sie als Hilfsassistentin gearbeitet hatte, hatte nichts von ihr gehört, seit Wochen nicht. Schließlich hatte ich keine Hoffnung mehr, irgendetwas herauszufinden, hörte jedoch nicht auf, bis ich alle Nummern durchtelefoniert hatte. Alle bis auf eine.
    Ich hatte sie bereits gewählt und stand mit dem Telefonhörer in der Hand am Fenster, als der Tanzbär wieder erschien. Er stand vor der Toreinfahrt gegenüber und wiegte seinen gedrungenen Körper von einem Bein aufs andere, beugte sich vor, ging in die Hocke, als wollte er auf die Straße scheißen, schon sah ich ihn umkippen, da reckte er die Arme nach vorn, um sich aufzufangen, richtete sich, kurz bevor er nach hinten umfiel, plötzlich auf, warf die Hände nach oben und hielt sich die Ohren zu, während er weiter tanzte, sich wiegte, stampfte und, wie ich jetzt hörte, sang. Mit synkopischen Schlägen der flachen Hände auf die Wangen begleitete er seinen rhythmischen Singsang, wischte jetzt über sein Gesicht und den von einem mächtigen Haarbusch bewachsenen Kopf, klatschte in die Hände, stampfte von einem Bein aufs andere, sang, klatschte, wischte und tanzte bärenhaft und selbstvergessen, als zwei junge Männer, Ausländer, sich ihm näherten, mit ihm redeten, ihm freundschaftlich auf die Schulter klopften, nach einer Weile weitergingen. Im Hörer tutete es. Ich unterbrach die Verbindung und beobachtete.
    Sonntagnachmittag, die wenigen Passanten machten einen Bogen um den Bären, der jetzt hüpfte und sprang, mit beiden Beinen hochsprang, sich von Neuem wiegte und lauthals sang. In sicherem Abstand blieben sie stehen, um ihn anzuschauen. Wieder beugte er sich weit nach vorne, beugte die Knie, kippte, fing sich flink wieder auf, wippte und brummte mit tiefer Stimme, kümmerte sich nicht um sein Publikum, das tuschelnd dastand, befremdet und amüsiert über diese seltsame Aufführung in der sonntäglich stillen Straße. Ein Mädchen in langem Rock und schwarzen Riemenschuhen schoss auf seinem Roller vorüber, kam zurück und blieb etwas entfernt von den anderen ebenfalls stehen. Der Tanzbär sah sie nicht. Ohne müde zu werden, sang er, tappte auf seine Wangen, streckte die geballten Fäuste waagrecht von sich, ging wieder in die Hocke, richtete sich auf, tanzte und tanzte nur für sich. Jetzt fuhr eine schwarze Limousine vor, stieß zurück, wendete und raste weg, eine Familie in praktischen Goretexjacken, Vater, Mutter, Tochter, Sohn, kamen auf den Tänzer zu, blieben erschrocken stehen, wechselten auf die andere Straßenseite und musterten ihn aus sicherem Abstand. Ohne Blaulicht, ohne Sirene näherte sich jetzt ein Streifenwagen, dem zwei junge Polizisten entstiegen. Sie ließen sich die Papiere des Mannes zeigen, sprachen mit ihm und führten ihn fast fürsorglich die Straße hinab und

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