Atomgewicht 500
Mittelpunkt feurige Sonnenglut strahlte.
Ein scharfes Zischen riß Dr. Wandel aus seinem Sinnen. Die Sicherheitsventile der Gaspumpen fingen an abzublasen, ein Zeichen, daß der Höchstdruck von einhundert: tausend Atmosphären erreicht war. Durch den dichten Nebel tastete er dem Geräusch nach und stieß auf eine Gestalt. Es war Schillinger.
„Kältemaschinen stillsetzen!” rief er ihm ins Ohr. Der griff nach einem Schalter. Die Linde-Maschinen kamen zur Ruhe, der prasselnde Regen der flüssigen Luft hörte auf.
Langsam verzogen sich die Nebelschwaden. Erst unsicher, dann klarer und deutlicher wurden die Lampen wieder sichtbar. Sie beleuchteten ein verändertes Bild. Nicht mehr düster schimmernd, sondern schlohweiß wie frisch gefallener Schnee stand der Autoklav da, und auch größer war er geworden. Ein schwerer Eispanzer umgab die Stahlkugel. Noch immer herrschte der Riesendruck von hunderttausend Atmosphären in ihr, noch immer arbeiteten tausend elektrische Pferde in ihrem Zentrum.
Wie lange würde es noch dauern, bis sie das letzte Atom jener rätselhaften Metallkiste gefressen und umgewandelt hatten? Wann würde der Sonnenlichtbogen abreißen und der Versuch zu Ende sein?
Die Werkuhr holte zu neuem Schlagen aus. Drei Stunden waren sie nun schon am Werk, doch wie im Traum, wie im Flug war ihnen die Zeit verstrichen. In glänzenden Streifen begann es jetzt von dem Autoklav zu tropfen, zu rieseln und zu fließen. Zusehends schmolz der Eismantel ab, schon schimmerte hier und dort wieder der dunkle Stahl hindurch. Da plötzlich eine hellere Note im tiefen Brummen des Transformators. Der Lichtbogen riß ab, der Stromzeiger fiel auf Null. Das Experiment war beendet.
War es geglückt? War es mißlungen? Das mußte sich nun bald erweisen.
Mißmutig suchte Tom White seine Wohnung in der Lake Street auf, nachdem er den Wagen Dr. Wandels aus den Augen verloren hatte. Das merkwürdige Zusammentreffen des Doktors mit McGan wollte ihm nicht aus dem Sinn. Immer neue Kombinationen und Möglichkeiten gingen ihm durch den Kopf, je länger er darüber nachdachte. Obwohl es längst Zeit war, zur Ruhe zu gehen, spürte er, daß er diese Nacht so bald keinen Schlaf finden würde.
Eine Stunde etwa lief, er schon ruhelos in seinem Zimmer hin und her, sinnierte und überlegte, ohne doch dadurch der Lösung des Rätsels einen Schritt näherzukommen. Verdrossen setzte er sich an seinen Schreibtisch und stützte den Kopf in die Hand, machte endlich eine Bewegung, als wolle er etwas Lästiges verjagen. Fort mit all den zwecklosen, unnützen Gedanken — Ablenkung durch irgendwelche Arbeit... Vielleicht würde er dann später klarer sehen... Mechanisch griff er nach Feder und Papier, um an Mr. Spinner zu schreiben.
Eigentlich wollte er diese Korrespondenz erst am nächsten Tage erledigen, doch jetzt war sie ihm als eine Ablenkung von seinen anderen Sorgen willkommen. Zwang sie ihn doch, sich scharf zu konzentrieren und alle Vorkommnisse dieses so ereignisreichen Tages noch einmal im Geiste vorüberziehen zu lassen. Er begann mit dem eigenartigen Versuch — er vermied es absichtlich, einen schärferen Ausdruck dafür zu verwenden — Professor Meltons am frühen Morgen, dann kam er auf das Erscheinen Dr. Wandels und sein Urteil über Melton und so weiter bis zu seiner Unterhaltung mit Wilkin in dem Salon. Und dann?
Unschlüssig stockte er. Hatte es überhaupt einen Zweck, jetzt schon von seinen Beobachtungen an der Ecke der Lake Street und der Woodward Avenue an den Nachrkhtenchef der Company zu berichten? Nein! Dafür war die Angelegenheit noch nicht spruchreif. Mr. Spinner wünschte Tatsachen und keine leeren Vermutungen in den Briefen seiner Agenten zu finden.
Tom White ließ den Bericht mit seiner Trennung von Wilkin enden. Auch so war das Schreiben schon ziemlich lang ausgefallen, und noch sehr viel länger wurde es, als er nun daranging, es mit Hilfe der Kartonschablone zu verschlüsseln.
Nur etwa ein Dutzend Worte des wirklichen Textes kamen dabei auf eine Briefseite. Den weißen Raum zwischen ihnen mußte er mit frei erfundenen Geschichten derart ausfüllen, daß die zuerst geschriebenen Worte sich unauffällig einfügten. Das war eine Arbeit, die nicht nur Phantasie, sondern auch Zeit verlangte, und obwohl Tom White kein Neuling in dieser Art von Korrespondenz war, ging doch manche Stunde darüber hin. Als er das Schriftstück endlich unterzeichnete — mit einem Namen, um den außer ihm nur Mr. Spinner wußte —,
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