Atomgewicht 500
konnte er nicht daran denken, den Draht von dem Lauschmikrophon im Raum des Präsidenten Chelmesford einfach bis zu seinem jetzigen Zimmer zu verlängern, denn die Gefahr einer baldigen Entdeckung wäre allzu groß gewesen. Aber seit Tagen benutzte er die Mittagsstunden dazu, die Lichtleitungen des Werkes zu untersuchen, und hatte schließlich ein Kabel entdeckt, dessen Mantel eine zusammenhängende metallische Verbindung zwischen dem Verwaltungsgebäude und der Abteilung Melton bildete. Der Rest war für einen Mann wie Tom White eine Kleinigkeit. In Chelmesfords Zimmer hatte er schon gestern das Lauschmikrophon an das Lichtkabel angeschlossen, jetzt brauchte er nur noch einige Verbindungen in seinem eigenen Raum herzustellen. Kaum hatte er die Batterie angeschlossen, als ein Rauschen im Telephonhörer ihm auch schon zu seiner Befriedigung verriet, daß das Mikrophon arbeitete. Die Anlage war in Ordnung, die einseitige Verbindung zwischen Tom White und Mr. Chelmesford wiederhergestellt.
Schon im Laufe des Nachmittags fand er Gelegenheit, sie zu benutzen und beachtenswerte Neuigkeiten zu erfahren. Tom White vernahm, wie bei Chelmesford der Tischapparat klingelte, und hörte den Präsidenten gleich darauf sagen:
„Nicht durchs Telephon, Clayton. Die Sache ist zu wichtig, kommen Sie bitte zu mir herüber.”
„Ist mir auch lieber so”, lachte White vor sich hin, „da kann ich euch alle beide hören.”
Kurz darauf trat Clayton in Chelmesfords Zimmer.
„Wir wollen die Angelegenheit lieber hier unter vier Augen besprechen”, empfing ihn der Präsident. „Ich weiß nicht, Clayton, ich habe in letzter Zeit ein unbestimmtes Gefühl, als ob mit unserm Haustelephon nicht alles in Ordnung ist.”
„An meinem Apparat habe ich nichts bemerkt. Haben Sie Störungen oder Nebengeräusche in Ihrer Leitung?”
„Das nicht gerade, Clayton, aber manchmal werden die ankommenden Gespräche bei mir plötzlich schwächer, als ob noch jemand mithörte.”
„Das könnte die Hauszentrale sein, Mr. Chelmesford”, meinte Clayton. „Die Beamten schalten sich gelegentlich ein, um die Verbindung zu kontrollieren.”
„Vielleicht, vielleicht auch nicht, Clayton. Auf jeden Fall will ich unsere Leitungen in den nächsten Tagen durch einen erfahrenen Mann genau untersuchen lassen... ” Tom White überkam bei den Worten des Präsidenten ein unbehagliches Gefühl. Wenn ein Fachmann die Telephonleitungen in den Direktionsräumen auf etwaige Anzapfungen untersuchte, konnte er auch leicht Whites Mikrophonanlage entdecken, und dann war Holland in Not. Während er noch überlegte, wie er sich davor schützen könne, gaben die Worte Claytons seinen Gedanken eine andere Richtung.
„Wir haben die Nachricht aus zuverlässiger Quelle”, sagte der Direktor. „Es ist Miller gelungen, im Kraftwerk als Kesselwärter anzukommen. Ingenieur Fletcher versucht die Sache geheimzuhalten, aber das läßt sich natürlich nicht machen. Die Tatsache steht fest, daß ein Kessel ohne Feuerung seit mehreren Tagen Dampf für fünfzigtausend Pferdestärken liefert.”
„Zum. Teufel, Clayton, wie ist das möglich?” Chelmesford ließ seine Faust krachend auf den Tisch fallen.
„Darüber konnte unser Mann nichts in Erfahrung bringen, Mr. Chelmesford”, antwortete Clayton. „Aber nach unsern eigenen Erfahrungen mit den strahlenden Stoffen Doktor Wandels gibt es nur eine Erklärung dafür: der Doktor muß in das Kesselwasser eine tüchtige Dosis von diesem Stoff getan haben.”
„Sie haben recht!” fuhr Chelmesford auf. „Aber dann, Clayton — ja dann...”
„... betreibt die Konkurrenz in Salisbury ihre Maschinen bereits mit Atomenergie”, vollendete Clayton den Satz.
Zum zweitenmal schlug Chelmesford in hellem Ärger auf den Tisch, während die Worte von seinen Lippen sprudelten. „Und wir sitzen hier und haben noch gar nichts, Clayton! Das ist ja zum Haareausraufen! Bei uns wurde der erste strahlende Stoff hergestellt, und jetzt haben wir das Nachsehen. Die Company hat sich den deutschen Doktor gelangt, nimmt uns den Wind aus den Segeln, und wir sind glücklich so weit gekommen, daß wir auf einen lächerlichen Laboratoriumsdiener zurückgreifen müssen, um überhaupt etwas zustande zu bringen. Eine unhaltbare Situation, Clayton! Das muß von Grund aus geändert werden. Der Doktor muß wieder her, und wenn ich ihn nachts aus seinem Bett hole!”
Clayton hielt es für zwecklos, dem Präsidenten ins Wort zu fallen, und so wartete er geduldig,
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