Attila - Die Welt in Flammen
über Theologie streiten!»
* * *
Nach einer kurzen Schlafpause in der Nacht erhielt Aëtius gegen Morgen eine Nachricht von dem Aufseher der Zisterne, Mocius. Er ging hin, um sie in Augenschein zu nehmen. Die Einwohner der Stadt füllten ihre Gefäße an den Rohren unten am Sockel. Respektvoll grüßte der Aufseher den General, stieß die Leute beiseite, schloss die Öffnungen und bat ihn dann, mit ihm hinaufzusteigen und in die Zisterne hineinzuschauen. Aëtius folgte ihm. Es strömte kein neues Wasser mehr herein. Fragend blickte er hinab.
«Das Aquädukt des Valens», sagte der Aufseher, «versorgt diese Zisterne hier.»
«Und ist der Zufluss versiegt?»
«Ja, er ist versiegt», erwiderte der Aufseher.
Sie waren also nicht mehr weit weg.
Er machte einen Erkundungsgang an den Stadtmauern und hätte weinen können. Menschen lagen mit offenem Mund im Schmutz, zu Tode erschöpft. Und die Mauern –
Im Gegensatz zu den Menschen waren sie keineswegs völlig fertig.
Doch jetzt bewies die Kirche, wozu sie imstande ist, zeigte ihren unerschütterlichen Glauben im Schutze Christi und seiner heiligen Mutter. Sie ließ die heiligste Ikone der Hodegetria, der Wegweiserin, vom heiligen Lukas selbst gemalt, auf eine hölzerne Scheibe montieren und sie von der Kirche des Erlösers in Chora in der Nähe der Stadtmauern in den engen Straßen herumtragen, während Weihrauchgefäße geschwenkt und Bußpsalmen abgesungen wurden. Priester in schwarzen Gewändern, Kantoren und barfuß laufende Laien sangen gemeinsam die kleinen Intervallschritte der alten Hymnen, schritten unter der hin und her schwankenden Ikone voran, die vergoldet, mit Juwelen behängt und mit Teilen des Wahren Kreuzes verziert war. An anderen Orten in der Stadt erhoben Bischöfe in Brokatgewändern segnend ihre Krummstäbe, und Dechanten besprengten die Gläubigen mit Basilikumzweigen, die sie ins Weihwasser getaucht hatten.
Die Mumie der heiligen Euphemia wurde aus ihrem Glassarg genommen und als Segenszeichen durch die Straßen getragen. Ihr Kopf sah aus wie eine getrocknete Melone. Scharen syrischer Mönche tauchten aus ihren Klöstern auf, sangen ihre an Christus gewandten langen Litaneien und riefen die Gläubigen dazu auf, weiterzuarbeiten,
laborare est orare,
Arbeit sei wie Beten, ermahnten sie sie und versicherten ihnen, dass der Herr der Heerscharen mit ihnen im Bunde sei. Aus jeder Kirche drang an jenem Morgen anschwellende Musik, die Türflügel waren weit geöffnet, damit die wunderbaren Gesänge und Liturgien der römisch-katholischen Kirche gehört wurden und sich wie eine Flutwelle aus den mit schimmernden Mosaiken, kostbaren Wandteppichen und massiven silbernen Kandelabern dekorierten Kirchen ergossen.
Wahrer Glaube kann Berge versetzen. Die Menschen fassten sich ein Herz und arbeiteten den ganzen Tag über. Es war ein Sonntag, doch heute würde Gott sich nachsichtig zeigen, dass sie sich dem Feiertagsgebot widersetzten.
* * *
Ein Trupp staubbedeckter Arbeiter, lauter junge Männer, Anhänger der «Grünen», kam zum Militärtor V und fragte, wie die stark in Mitleidenschaft gezogene Porta Aurea, das wundervolle Goldene Tor, das Theodosius der Große hatte errichten lassen, wieder instand gesetzt werden sollte. «Der Soldat, dessen Rüstung so sehr glänzt, dass man sie in der Sonne für Silber halten könnte, kämpft am besten», ließ Aëtius sie wissen.
Obwohl also die Horden Attilas auf die Stadt zuritten, rekonstruierten diese ungeschulten jungen Männer nun das strahlende Wunder aus Marmor und Gold ganz so, wie es gewesen war. Die vier riesigen Bronzeelefanten wurden wieder oben auf das Tor gehievt, nachdem einer davon in einer nahe gelegenen Schmiede repariert worden war. Noch inspirierender war, dass auch die beiden Siegesfiguren mit ihren weit ausgebreiteten Schwingen wieder ihren angestammten Platz einnahmen und, obschon ein wenig beschädigt, von neuem stolz über die Ebene blickten. Hunderte von Menschen arbeiteten in zahllosen Schichten daran und gönnten sich nur kurze Ruhepausen, sodass bei Einbruch der Dunkelheit das Tor mehr oder weniger in seiner alten Gestalt dastand. Die Grünen zu seinen Füßen brachen in Jubel aus, alle waren beseelt, tanzten in den Straßen und stimmten Freudenchöre an. Das Gerücht, dass die Grünen ihren Bau vollendet hatten, drang auch zu den Blauen, deren Wetteifer daraufhin noch mehr angestachelt wurde.
Es war Prinz Theoderich, der erstmals anmerkte, dass Gottes Wege wundersam seien.
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