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Attila - Die Welt in Flammen

Attila - Die Welt in Flammen

Titel: Attila - Die Welt in Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Napier
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da diesen unglücklichen Vorfall mit der Tochter eines Fischhändlers in Carnuntum, dessen schmutzige Details ich Euch lieber erspare, verzeiht mir, weil Euch dann vielleicht das Abendessen nicht mehr schmeckt. Na ja, jedenfalls habe ich damals geschworen, keinen Tropfen Alkohol mehr anzurühren, zumindest bis …» Faustriemen brach ab.
    Der General war bereits weitergegangen, er hatte nicht die Muße, sich Faustriemens wie üblich ausführlichen Bericht anzuhören. Doch er rief einem der Läufer über die Schulter hinweg zu: «Bringt diesem Mann einen Eimer Wein. Nein, einen Trog!», fügte er mit einem angedeuteten Grinsen hinzu.
    Er nahm wieder seine Stellung auf dem Turm am Militärtor V ein, die Erschöpfung traf nun auch ihn mit voller Wucht. Er konnte kaum stehen, aber er konnte auch nicht schlafen. Es gab zu viel zu tun. Er aß nur ein Stück trockenes Brot und trank Wasser. Tatullus und Hauptmann Andronicus kamen auf ihn zu. Jetzt, da die Kämpfe vorüber waren und der Adrenalinspiegel sich wieder normalisiert hatte, sahen auch sie zum Umfallen müde aus, in ihren Augen schien kein Lebensfunke mehr zu glimmen. Er wusste, wie ihnen zumute war. Es fühlte sich nicht wie ein Sieg an, und es gab keinen Anlass für ausgelassenes Feiern. Noch nicht. Dies hier fühlte sich an wie ein vorübergehendes Überleben. Da draußen auf der Ebene kauerte Attila noch immer wie ein Raubtier, das darauf wartet, loszuspringen. Seine riesige Armee hatte maximal ein- oder zweitausend Mann eingebüßt.
    Nun war für Aëtius der Zeitpunkt gekommen, die eigenen Verluste zu zählen.
    Von den beiden Kompanien der Kaiserlichen Garde, insgesamt einhundertsechzig Mann, waren über sechzig tot, etwa vierzig Männer waren so schwer verwundet, dass an einen neuen Einsatz nicht zu denken war. Diese Zahlen sprachen Bände. Weit über die Hälfte der Kaiserlichen Garde war vernichtet, und jeder Einzelne hatte am gestrigen Tag und in der Nacht noch Blut gelassen. Für Attila hingegen stellten die Haufen toter Hunnen am Fuß der Stadtmauern lediglich einen Bruchteil seiner gesamten Streitkräfte dar. Von den vierundvierzig Wolfskriegern waren nur drei gefallen, und drei weitere wurden im Emmanuel-Hospiz behandelt. Erstaunliche Gestalten, denen man ihre außerordentliche Tapferkeit gar nicht ansah. Selbst Andronicus musste zugeben, dass sie vor allem deshalb so wenige Opfer zu beklagen hatten, weil sie so tüchtige und geschickte Kämpfer waren. Flachsblonde Riesen, die unbarmherzig kämpften, Löwen gleich.
    Was die achtzig Mann der isaurischen Hilfstruppen betraf, so waren mehr als die Hälfte von ihnen tot oder kampfunfähig. Aktive Kämpfer gab es nur noch ungefähr dreißig. Von den Bürgern, die ihr Leben für ihre geliebte heilige Stadt eingesetzt hatten – gewöhnliche Männer, Väter, Gatten, Brüder, Söhne, Männer, die sich eigentlich nur darauf verstanden, Brot zu backen, Pferde zu beschlagen oder Bärte zu schneiden –, von diesen waren Unzählige gefallen.
    Und dort unten, am Fuß der Mauer, lagen die geschlachteten Hunnen übereinander, gefiederte, tätowierte Wilde, die beinahe nackt gekämpft hatten, mit Zähnen und Klauen, und die in einer Sprache heulten, die niemand außer Aëtius verstand; auch das waren Väter, Gatten, Brüder, Söhne. Es war entsetzlich. Eine einzige sinnlose Verschwendung. Es war ein gefährlicher Zeitpunkt, wenn die Schlacht abebbte und zum Stillstand kam – in solchen Momenten konnte der Schmerz selbst den stärksten Mann überwältigen. Weshalb hatten sie einander bekämpft, diese Väter und Söhne? Worum hatten sie gestritten?
    Aëtius, Tatullus und Andronicus standen schweigend Seite an Seite auf dem Turm und sahen zu, wie unbewaffnete Hunnen in der glühenden Mittagssonne ihre Toten wegschafften, um sie geziemend zu betrauern und zu bestatten. Eine entsetzliche Pflicht, die Stunden in Anspruch nehmen würde. Den Befehl, nicht auf sie zu schießen, brauchte Aëtius gar nicht zu geben. Keiner der Verteidiger wäre so grausam gewesen. Er senkte den Kopf. Vor Sorge war sein Herz schwer wie ein Stein.
    Hinter ihnen murmelte einer der Wachposten plötzlich: «Oh mein Gott! Oh nein!»
    Die drei erschöpften Männer schreckten auf.
    Auf der ganzen Stadtmauer drehten sich Männer um und blickten über die Stadt, die sie so tapfer verteidigt hatten. Sie wandten Attilas Armee den Rücken zu und sanken auf die Knie, ließen die Waffen sinken, riefen Christus an und weinten ohne Scham. Denn die Heilige

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