Attila - Die Welt in Flammen
Kornkammern beliefen sich die Steuereinnahmen auf immer weniger.
«Was ist mit den Legionen?», fragte Aëtius.
«Die Feldarmee lagert ein Stück weiter im Landesinneren», sagte der Kammerherr. «Aber ihre Stimmung ist, da sie während dieser wenigen Monate unbezahlt blieb, traurigerweise sehr widerspenstig. Nun kommt der Winter, und ich fürchte, sie wird etwas weniger zahlreich …»
«Und Ihre Majestät Galla Placidia?»
Der Kammerherr senkte den Blick. «Ich fürchte, Ihre Majestät liegt im Sterben.»
* * *
Er fand sie in einer abgedunkelten Schlafkammer. Sie saß neben einem Kohlebecken aufrecht in einem hölzernen Sessel mit hoher Lehne, in weiße wollene Gewänder gehüllt. Sie war ohne Zweifel sehr schwach, und doch erkannte sie ihn augenblicklich. Er sank vor ihr auf die Knie.
«Erhebt Euch, General», sagte sie. Ihre Stimme war nur ein raues Flüstern. «Der Rest des Reiches ist auf den Knien. Zumindest Ihr solltet aufrecht stehen.»
Er erhob sich sofort. Wie sehr er diesen alten Haudegen liebte! Sie mochte im Sterben liegen, aber ihr Verstand und ihre Zunge waren so scharf wie eh und je.
«Und ich versuche, nicht in Eurer Gegenwart zu sterben», fügte sie hinzu. «Man könnte sich sonst das Maul zerreißen.»
«Der Kaiser?», wagte er zu fragen.
Sie sagte kein Wort, doch ihre abschätzige Handbewegung sprach Bände. Der Kaiser war verrückt.
«Und nun», flüsterte sie, «ist Attila also nach Norden gezogen.»
«Einstweilen.»
«Die westliche Welt ist im Umbruch.» Sie starrte ihn mit ihren wässrigen grünen Augen an. «Und Kaiserin Athenais … Eudoxia?»
Er zuckte zusammen. Diese Gedankensprünge. Vielleicht war sie doch nicht mehr ganz bei Verstand.
«Ihr habt sie geliebt», sagte Galla.
Nein. Sie war doch noch bei äußerst klarem Verstand.
«Ja», sagte er schließlich, nachdem er mit sich gerungen hatte. «Doch ich wurde anderswo gebraucht.»
Sie nickte unmerklich. «Das werdet Ihr noch immer. Gebietet ihm Einhalt, Aëtius. Mit aller Macht, die Euch zu Gebote steht. Mit all Euren Gebeten. Ihr müsst ihn aufhalten! Das Christentum hängt davon ab.» Sie streckte eine skelettartige Hand aus, er begriff, was sie damit sagen wollte, und reichte ihr einen Becher mit Wasser, der neben ihr stand. Sie trank, und er setzte den Becher wieder ab.
«Wir können nichts tun als abzuwarten», sagte sie. «Wo wird er als Nächstes zuschlagen? Aber wir wissen es ja ohnehin. Wir wissen, er wird kommen.»
Sie bedeutete ihm, sich zu setzen.
«Die Gründung Roms liegt zwölf Jahrhunderte zurück, das wisst Ihr. Und man hat immer schon behauptet, schon vor Cicero und Varro, dass die zwölf Geier, die Romulus erschienen, als er die Stadt gründete, die zwölf Jahrhunderte bedeuten, die Rom bestehen wird. Roms Zeit geht zu Ende.»
Sie atmete langsam. «Führt der Brudermord von Remus schlussendlich doch zur Zerstörung Roms? Das Vergießen von seines Bruders Blut war der Preis, den Rom für zwölf Jahrhunderte Ruhm zu zahlen hatte. Es heißt, auch Attila habe seinen Bruder ermordet – für kümmerliche zwölf Jahre Ruhm. Vielleicht werden nun die Schulden eingefordert. Die erste Stadt hieß Enoch und war eine Gründung Kains. Noch ein Mörder. Vielleicht fließt am Beginn jeder Stadtgründung Blut; und zum Schluss muss das geflossene Blut bezahlt werden.» Sie schloss die Augen, ihre Lider waren beinahe durchsichtig und zitterten. «Ich kann die Zukunft nicht voraussagen, Aëtius, aber sie muss … neu erschaffen werden. Rom hat möglicherweise keine Zukunft. Aber Attila und sein reiner Zerstörungswahn vielleicht auch nicht.»
Sie schlug die Augen wieder auf. «Einige meinen, dies sei nur die alte Welt, die im Sterben liegt. Und dass eine neue Welt entstehen wird. Nun, fragt einmal eine Frau, wie schmerzhaft das Gebären ist. Eine von Euripides’ Frauen sagte: ‹Lieber stehe ich in einer Schlachtlinie, als nochmals im Kindbett zu liegen.›» Sie lächelte schwach.
«Ich habe gehört», sagte Aëtius, «die Ernte sei mager ausgefallen, und Wetterbeobachter sagen einen harten Winter voraus.»
«Was Attila mehr zusetzen wird als uns.»
Er brummte. «An Euch ist ein General verloren gegangen. Eine sehr kluge Beobachtung von Euch!» Er stand auf. «Verzeiht, Majestät, aber ich muss die Truppenstärke in Erfahrung bringen, und dazu brauche ich meinen General, Germanus.»
«Ich kann es Euch sagen», erwiderte sie.
Er lachte laut auf. «Ihr würdet wirklich einen guten General
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