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Attila - Die Welt in Flammen

Attila - Die Welt in Flammen

Titel: Attila - Die Welt in Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Napier
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abgeben!», rief er.
    «Hmm. Falsches Geschlecht.»
    Sie verzog schmerzlich das Gesicht beim Einatmen und begann mit der Aufzählung. Die Grenzposten an Rhein und Donau waren so gut wie unbemannt. Sie selbst hatte durch ihren Sohn den Befehl dazu erteilt. Im Osten war keine nennenswerte Armee übrig, und jeder einigermaßen brauchbare Soldat im Westen war bei der Feldarmee, keine sechs Meilen vor Ravenna. Sie spulte die Namen herunter: Die Expeditionstruppe, die Aëtius selbst in Sizilien zusammengestellt hatte, damit sie Africa wiedereroberte – sechs hervorragende Legionen, darunter die Bataver, die Herkulianer, die Cornuti Seniores, die Maurische Kavallerie. Alles in allem etwa achtzehntausend Mann.
    «Zwanzigtausend», unterbrach er.
    «Auch hier hat es Deserteure gegeben.»
    Er sah zu Boden.
    Von den Grenzen waren ein paar traurige Überbleibsel abgezogen worden. Die einzigen Legionen, die diesen Namen noch verdienten, hatten jede etwa tausend Mann: die Legio I. Italica kam von Brigetio her, die II . aus Aquincum. Die stolze IV . Scythia in Singidunum hatte sich gänzlich aufgelöst, wahrscheinlich weil sie komplett zu den Hunnen übergewechselt war. Aëtius befehligte die XII . Fulminata, die Blitzbrigade, gute Artilleristen; dann die XIV . aus Carnuntum; eine nützliche Augustäische Reitertruppe. Am wichtigsten aber waren die zweitausend Elitekrieger der Palatinischen Garde. Das war alles.
    Die Grenzen waren zum ersten Mal seit Jahrhunderten unbewacht. Er sah vor seinem geistigen Auge die einst so mächtigen Festungsmauern, die nun einsam und verlassen an den kahlen, öden Ufern von Rhein und Donau standen, während geisterhaft der Wind durch ihre schmalen Fenster und um ihre halbkreisförmigen Bastionen strich und Stare in ihren stolzen, verwaisten Türmen nisteten.
    Er konnte ungefähr fünfundzwanzigtausend Mann einsetzen. Attila verfügte über mehr als das Doppelte – allein an Elitekriegern. Zählte man die Söldner dazu, die unbedeutenderen Stämme, die Opportunisten und die namenlosen östlichen Völker und glaubte man den wilden Gerüchten, dass er an der Spitze einer halben Million reite, so kam man vermutlich der unbequemen Wahrheit sehr nahe.
    Gallas altes Gesicht wirkte ganz fahl. «Ich habe keinen Zweifel», sagte sie schließlich langsam, «dass Attila, sollte er uns diesmal besiegen – wenn seine Truppen, die eindeutig in der Überzahl sind, die Euren vernichten –, dass er dann nicht einfach unser Reich dem seinen einverleiben wird. Nein, er wird es zerstören. Er wird seinen Göttern ein Opfer bringen – auf einem Altar namens Europa.»
    Aëtius widersprach ihr nicht. Er sagte tonlos: «Wir gaben den Befehl, ihn zu töten, als er noch ganz klein war. Nun zahlen wir den Preis.»
    «
Ich
habe den Befehl gegeben», sagte Galla wie aus der Pistole geschossen. «Ich gab den Befehl, ihn umzubringen. Damit die Hunnen sich nicht gegen uns kehrten. Sie sollten mit uns kämpfen, gegen Alarich und die Goten. Sein Onkel Ruga war nicht unser Feind!» Sie schüttelte den Kopf. «Wie lange ist das her. Es kommt mir vor wie aus einer anderen Welt. Und es ist uns nicht gelungen: Wir konnten den Knaben nicht töten, obwohl wir uns so sehr darum bemühten. Aber ich bin nicht die erste Herrscherin, die den Befehl gab, ein unschuldiges Leben zu opfern, um weitere Leben zu retten. Auch werde ich nicht die letzte sein. Noch immer bereue ich es nicht. Gott möge mein Richter sein.»
    Es gab ein langes Schweigen, bis sie schließlich sagte: «Ich habe das Gefühl – verzeiht einer alten, sterbenden Frau ihre abgedroschenen Prophezeiungen –, ich habe das Gefühl, dass er Rom niemals wiedersehen wird.» Sie ergriff seine Hand. «Ich spüre das, Aëtius. Er sah Rom als Knabe, als wilder Knabe, und er verachtete es und alles, wofür es steht. Er wird die Stadt nie wieder zu sehen bekommen. Ich sage dir: Er wird Rom … niemals wiedersehen.» Jede Pause war ein Atemholen im Todeskampf, ihr Gesicht blieb die ganze Zeit unerbittlich und erbarmungslos.
    «Eines Tages, eines Tages … und in einer anderen Welt», flüsterte sie so leise, dass er sich über sie beugen musste. Sie möge sich doch ausruhen, sagte er zu ihr, doch sie verzog die dünnen Lippen nur verächtlich. Kein einziges Mal in sechzig Jahren hatte sie sich ausgeruht. Sie flüsterte: «Ich habe dich immer … sehr geschätzt … ja geliebt … Gaius … Flavius … Aëtius.»
    Ihre Hand erschlaffte in der seinen.
    * * *
    Sie wurde

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