Attila - Die Welt in Flammen
kunstvoll einbalsamiert, in violette Trauergewänder gehüllt und im Triclinium der Neunzehn Liegen aufgebahrt, das Diadem der römischen Kaiserwürde auf dem Haupt. In der Mitte der Halle ragte der große goldene Katafalk über ihrem Leichnam auf. Wahre Kerzenwälder brannten auf goldenen Ständern in Wolken aus Weihrauch. Freunde und Trauergäste gingen an ihr vorüber und küssten sie, dann kamen Bischöfe und Priester, Senatoren, Patrizier, Präfekten, Richter, Ehefrauen, Hofdamen. Sie alle küssten ihre kalten Wangen und wehklagten laut.
Auch Valentinian kam, um sich mit einem Kuss von ihr zu verabschieden. Aëtius erschrak, als er ihn sah. Er hatte sich in einen alten Mann verwandelt, sein Haar war grau und dünn, seine Beine seltsam gebeugt, sein Gang ein müdes Schlurfen. Er presste ein weißes Tüchlein an den Mund, um sowohl seine Tränen als auch seinen ständigen Speichelfluss aufzusaugen. Er brachte seiner Mutter ein Geschenk: ein herrliches Geschmeide, das sie im Sarg tragen sollte. Man hätte es besser dazu verwenden sollen, Söldner anzuwerben, dachte Aëtius. Eine Hofdame hob vorsichtig Gallas Kopf an, und der schluchzende Kaiser legte ihr mit zitternden Händen die Juwelen um den Hals; dann hielt er sie lange im Arm. Er musste weggeführt werden.
Der Trauerzug, begleitet von singenden Priestern und Klageweibern, führte an der wunderbaren Auferstehungskirche vorbei. Aëtius ritt auf seinem Schimmel mit und dachte die ganze Zeit: «In Judas verlor’ner Knabenzeit, ward Christus schon verraten.» Es war, so wurde ihm allmählich klar, als habe Galla just das getötet, was sie am meisten liebte: Rom. Sie hatte den Knaben Attila so arg misshandelt, ihm unwissentlich solch einen starken Hass eingeflößt, dass er nun zurückkam, um die Stadt und das Reich, für das sie stand, zu zerstören. Nein, das Drama dieser Welt war nicht von dem warmherzigen blinden Sänger beschworen worden, von Homer, sondern von dem einsamen Tragödiendichter, den Galla auf dem Totenbett zitiert hatte: von Euripides, der aus seiner Eremitenhöhle aufs Meer hinausblickte.
In der Basilika wurde Galla das Diadem abgenommen und durch ein Band aus violetter Seide ersetzt.
Der Patriarch stimmte einen klangvollen Hymnus an:
«O Prinzessin, der König aller Könige, der Herrscher der himmlischen Heerscharen rufet dich!»
Sie wurde in ihrem eigenen Sarkophag im Mausoleum zu Grabe gelegt, zwischen den beiden Männern, die vor ihr verschieden waren: ihrem zweiten Gemahl, Constantinus, und ihrem Bruder, Kaiser Honorius. Ihr eigener Sarkophag war der größte der drei. Sie saß aufrecht darin, als herrschte sie immer noch über das Reich, dessen Regentin sie auch ohne Titel gewesen war.
Die Tür fiel zu, und es herrschte Stille.
2. DAS ENDE ALLER ZEITEN
G alla starb gerade zur rechten Zeit. Nur drei Tage später wurde eine Nachricht an den Hof von Ravenna gebracht. Sie stammte von Attilas Sekretär Orestes. Er schrieb, Attila sei mit Prinzessin Honoria, der Schwester des Kaisers und Galla Placidias Tochter, verlobt und würde als Mitgift die Hälfte des Römischen Reiches annehmen. Insbesondere die westliche Hälfte.
Valentinian lachte hysterisch. Sogar Aëtius lächelte beinahe. Attilas dämonischer Sinn für Humor war noch immer intakt. Dann fiel ihm etwas ein, das Theodosius gesagt hatte, etwas von einem Plan Honorias, der durchkreuzt werden könnte …
Es war kein Scherz Attilas, wie eine rasche Rückfrage am peinlich berührten Hof von Theodosius erbrachte. Es war die reine Wahrheit.
Im Winter Anno Domini 450 war Prinzessin Honoria, die damals noch ein abgeschottetes Leben mit der Schwester des Kaisers, Pulcheria, und ihren frommen Hofdamen im Palast von Konstantinopel führte, Ende zwanzig. Inmitten der Wirren jener Tage hatte sie endlich ihre Gelegenheit zum Entkommen gesehen – und zur Rache an ihrer Familie, die sie erniedrigt und ihrer Jugend beraubt hatte.
Es gelang ihr, eine der Wachen zu bestechen, die Attila die siebentausend Pfund Gold überbrachte – was für eine Art von Bestechung das wohl war, bleibt besser im Dunkeln, aber in Anbetracht ihres Naturells ist es nicht schwer zu erraten. Sie steckte dem Mann einen goldenen Verlobungsring für Attila mit einer kurzen Botschaft zu. Sie bot sich als seine Frau an, wenn er käme, um sie zu retten. Was für eine Art von Freiheit sie im Hunnenlager als eine der jüngeren Frauen des Tanjou erwartete, kann man sich ungefähr vorstellen. Attila nahm das Angebot an,
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