Attila - Die Welt in Flammen
Birkenwäldern voll menschenfressender Dämonen und Mooren, brackigen Tümpeln, dicken Moosen, tropfenden Farnen und übelriechenden Sümpfen, die ein ganzes Pferd zu verschlingen imstande waren und sich lautlos über seinen letzten erbarmungswürdigen Zuckungen schlossen, als wäre all dies nie geschehen.
Eines Nachts, als sie in diesem spukhaften Landstrich lagerten, hörte Orestes, wie sein Herr laut aufschrie. Er rannte mit gezücktem Schwert in sein Zelt und sah zu seinem Entsetzen, dass Attila sich auf seiner Ruhestätte hin und her wälzte und Schaum vorm Mund hatte. Dennoch schien er zu schlafen und konnte demnach nichts sehen. Orestes glaubte schon, der König habe den Verstand verloren. Er ließ das Schwert fallen, packte ihn bei den Schultern, damit er wieder zu sich kam. Als Nächstes spürte er auf einmal einen bohrenden Schmerz in seiner rechten Seite – Attila hatte ihm einen Dolch ins Fleisch gerammt.
Orestes wich zurück und presste die Hände auf die Rippen. Die Wunde war nicht tief, blutete aber stark. Orestes nahm die Hand weg und betrachtete sie. Sie war nass und tiefrot. Er streckte Attila die Hände entgegen. Attila starrte ihn an, das wilde Leuchten in seinem Blick verschwand, sein Verstand kehrte wieder und damit zugleich seine endlose Sorge. Wie gequält er aussah! Er fuhr mit dem Arm über seinen speichelbefleckten Mund und sah keuchend zu Orestes auf.
«Ich habe geträumt», flüsterte er beinahe unhörbar, seine Stimme war ein einziges Krächzen zwischen zwei schweren Atemzügen, «ich habe geträumt, dass du dich gegen mich verschworen hast und versucht hast, mich umzubringen. Du hast behauptet, ich sei wahnsinnig geworden, weil ich in meiner Verblendung gelobt hatte, auf meinem Weg zum Himmel über Leichen gehen zu wollen.»
Orestes sagte nichts, er presste weiterhin die Hand auf die Blutung an seiner Seite. Attila schien gar nicht auf seine Wunde zu achten. Schließlich sagte der Grieche, sein Herr solle sich nun schlafen legen, und suchte nach einem Kameraden, der ihn verbinden würde.
Als er das Zelt verließ, drehte er sich noch einmal um. Attila saß auf seinen Pelzen, starrte ins Leere, seine Lippen bewegten sich. Er sah nichts.
* * *
Die nächste Stadt, zu der die Hunnen gelangten, war Remi, genauso verlassen wie der ganze Rest. Bischof Nicias hatte sich allerdings geweigert, seinen Posten zu verlassen, denn er sah den Tod so, wie ihn jeder aufrechte Christ sehen sollte: als Pforte zum ewigen Leben. Bei ihm blieb eine Handvoll gallorömischer Ritter, die zu jung waren, um Frau und Kind zu haben, und die darauf brannten, wie er zu sterben, wenngleich sie fürchteten, dass sie der Mut verließ und sie vor den heidnischen Invasoren fliehen könnten.
Das Wetter verschlechterte sich, es fiel Schnee. Attilas Riesenheer blieb vor den Toren der Stadt stehen, doch Attila, der von der Sturheit des Kirchenmannes gehört hatte, ritt mit einigen seiner Getreuesten durch die schmalen Gassen in die Stadt hinein. Sie rechneten mit einem Hinterhalt, doch es geschah nichts. Sie kamen an den Hauptplatz mit der herrlichen Kathedrale auf der Ostseite, gegenüber der Basilika, und den herrlichen Bädern und dem Portikus des Marktplatzes auf den beiden anderen Seiten. Attila brachte sein Pferd zum Stehen und blickte sich um. Ein kalter Frühlingswind blies über den Platz, und die Pferde stampften mit den Hufen auf. Die geisterhafte Leere der verlassenen Stadt war unheimlich. Noch mehr jedoch war dies die kleine Gruppe, die gegenüber auf den Stufen der Kathedrale stand, ein christlicher Priester und acht noch ganz junge Ritter, die zu ihnen herübersahen, schweigend und furchtlos.
«Was ist das?», brüllte Attila plötzlich wütend.
«Willkommen in unserer Stadt», rief Nicias zurück. «Ihr seid von weither gekommen, wie mir scheint.»
Diese ironische Sorglosigkeit reizte Attila nur noch mehr. Die Eunuchenpriester dieses blassen, besiegten christlichen Gottes hatten nicht das Recht, dem Tod ebenso furchtlos wie seine besten Krieger ins Auge zu sehen. Sie hatten doch niederzuknien und um Gnade zu winseln, bevor man ihnen den Kopf zurückbog und ihre weißen Kehlen wie einem Lamm durchschnitt. Attila gab seinem gescheckten Pony die Sporen und trabte zu ihnen hinüber. Seine Krieger schwärmten auf der Stelle aus und nockten ihre Pfeile ein, auf die kleine Gruppe auf den Stufen vor der Kathedrale gerichtet. Womöglich war es doch eine Falle. Hundert Soldaten konnten sich in der düsteren
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