Attila - Die Welt in Flammen
gebraucht.
Er presste Daumen und Zeigefinger auf die Augen. Manchmal stand er kurz davor, Gott zu verfluchen. Er hatte das Gefühl, zerrissen zu werden. Alles lag in Trümmern, die Welt war krank, und doch konnte er das schallende Lachen des Himmels hören. Er selbst wäre beinahe in hysterisches Gelächter ausgebrochen. Der Bote trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. Als Aëtius die Augen wieder öffnete, stand der behäbige Germanus vor ihm, und direkt dahinter Tatullus. Sie salutierten. Er hätte sich am liebsten wie ein Ertrinkender an sie geklammert. Das Gefühl endlosen Schreckens ließ ein wenig nach.
Zeit, wieder das Kommando zu übernehmen. Er teilte ihnen mit, was der Bote berichtet hatte. Beide machten ein finsteres Gesicht.
«Unsere Männer sind bereit, morgen früh im Morgengrauen aufzubrechen, Herr», sagte Tatullus.
«Aber es sind keine Schiffe in der Nähe von Aquileia», fügte Germanus hinzu.
«Und in Ravenna auch nicht», versetzte Aëtius grimmig, «ganz abgesehen von der Tatsache, dass der Militärhafen bereits vor Jahrzehnten aufgegeben wurde und seither mit Obstbäumen bepflanzt wurde.»
Germanus schüttelte seinen großen kugelförmigen Kopf. «Was für eine Schande! Wie soll Rom denn seine Feinde bekämpfen? Soll es ihnen Feigen an den Kopf werfen?»
«So ungefähr. Also nehmen wir eben den Landweg. Wir haben nämlich eine Verabredung einzuhalten. Sechshundert Meilen entfernt. Wir werden einen Monat unterwegs sein.»
«Im Winter?»
«Im Winter.»
Germanus und Tatullus schauten ihn verdutzt an.
«In Tolosa», erklärte Aëtius. «Am Hof der Visigoten.»
4. DIE STRASSE DER ZERSTÖRUNG
A ttila überquerte den zugefrorenen Rhein sechs Meilen südlich von Argentoratum, der bittere Winter war auf einmal sein Verbündeter. Wie eine Marmorplatte lag der breite Strom da. Seine riesige Armee brauchte über eine Woche, um vom Ostufer über die glitzernde Eisfläche auf die Westseite zu gelangen. Zusammen mit den Auserwählten, die noch am Leben waren, und seinen besten Kriegern ritt er voran, der große Tross der Hunnen folgte ihnen. Die Kutrigurischen Hunnen unter ihrem Anführer Himmel-in-Fetzen ritten mit ihnen, ebenso die Leute aus dem Oronchan-Tal unter Bayan-Kasgar; Hephthaliten, Weiße Hunnen, Schwarze Hunnen, Hunnen vom Ufer des Aralsees und den äußersten Nordgrenzen der skythischen Steppe, in Pelze gehüllt, mit ihren tückischen gekrümmten Bogen und den Köchern, in denen unzählige Pfeile klapperten.
Nun ritten auch die Gepiden aus den transsilvanischen Hügeln unter ihrem König Ardarich mit ihnen, berittene sarmatische Krieger und alanische Lanzenreiter mit ihren blauen Augen. Dieses iranische Volk war listig und hinterhältig. Die alten Perser, so hieß es, hätten im Knabenalter drei Dinge gelernt: ein Pferd zu reiten, einen Pfeil abzuschießen und die Wahrheit zu sagen. Die Alanen verstanden sich auf die ersten beiden Fähigkeiten.
Weiter waren da untersetzte bärtige Rugier von den fernen Gestaden der Ostsee, hoch im Norden; Skiren in ledernen Rüstungen, die lange Wurfspieße und Streitäxte bei sich trugen, und flachsblonde Langobarden mit großen, beidhändig zu führenden Schwertern. Als der Zug Germanien durchquerte, schlossen sich ihnen, wie Aëtius vermutet hatte, Thüringer, Mähren, Heruler, Burgunder und sogar die Söhne und Enkel jener Freibeuter an, die einst unter dem Banner des Rhadaghastus geritten und von den Hunnen selbst in der toskanischen Ebene besiegt worden waren.
Die Verluste, die Attila in Viminacium und den anderen Städten im Osten erlitten hatte, in der Schlacht am Utus und schließlich unterhalb der Mauern Konstantinopels, zusammen einige tausend Mann, waren um das Vierzig- bis Fünfzigfache ausgeglichen worden. Die eisigen Atemwolken und den Dampf der Pferde konnte man noch einen Tagesmarsch entfernt sehen. Seine Armee brachte den Boden zum Erzittern, während sie westwärts zog.
In den Städten entlang des Rheins metzelten sie jedes Lebewesen nieder, das ihnen in die Quere kam. Auch Schafe und Rinder hätten sie mitgenommen, doch sie hatten bereits zu viele Tiere bei sich, und jetzt im Spätwinter gab es nicht genügend Futter. Daher nahmen sie aus jenen reichen Städten nur mit, was sie auch transportieren konnten, und luden es auf ihre ächzenden Fuhrwerke: mit Gold und Silber damaszierte Rüstungen, Seidenstoffe, Teppiche und Pelze, die sie zu großen Haufen auftürmten, zusammen mit sakralen Gegenständen, die sie aus
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