Attila - Die Welt in Flammen
sprechen ein und dieselbe Sprache, haben dieselbe Religion, die gleichen Namen.»
«Dieselbe Religion? Aber Geiserich kämpft mit den heidnischen Hunnen. Er ist ein Verräter!»
«Jetzt bin ich mit ihm verwandt. Sei vorsichtig, Römer!»
«Verzeih mir. Aber ich misstraue ihm.»
«Nun gut. Jeder handle, wie es ihm beliebt. Lass uns nun essen.»
Sie speisten in der großen Halle des Palasts. Eine Szene wie bei Homer, ein großes Gelage, das nur deshalb nicht so ausuferte, weil die Visigoten sich seit kurzem eine zivilisierte Form römischer Kultur angeeignet hatten. Ein riesiges Feuer brannte in der Mitte der Halle, und sie aßen aufrecht sitzend an langen Holztischen, während Barden alte Balladen über Schlachten gegen längst vergessene Feinde in fast schon sagenhaften Wäldern im Osten und auf weiten Ebenen besangen. Von früheren Schlachten gegen die Hunnen war keine Rede.
Aëtius versuchte sich davon zu überzeugen, dass er hier keine Zeit verschwendete, und bemühte sich, ordentlich zu essen, anstatt in das große Herdfeuer zu stieren und daran zu denken, dass der Norden Galliens in Flammen stand. Die Visigoten empfanden es als persönliche Beleidigung, wenn ihre Gäste sich den Magen nicht beinahe bis zum Erbrechen vollschlugen. Die Prinzen saßen in der Nähe und grinsten von einem Ohr zum anderen, während sie gewaltige Platten mit gebratenem Reh und Eber verschlangen. Am Nachbartisch tranken die tapferen Wolfskrieger Jormunreik und Valamir Bier aus riesigen Auerochsenhörnern, die mit feinen Silberdekorationen versehen waren; sie leerten ein Horn nach dem anderen, bis sie an Ort und Stelle einschliefen. Niemand achtete darauf. Am nächsten Tag zogen sie wahrscheinlich schon im Morgengrauen zur Jagd los, mit Kopfschmerzen, die einen weniger zähen Mann bestimmt eine Woche lang gequält hätten.
Dies also waren die Bundesgenossen, deren Hilfe die Römer so dringend brauchten …
Ein Gast schien sich in dieser Gesellschaft sichtlich unwohl zu fühlen, ein junger Dechant der gallischen Kirche mit rosigem Gesicht und spitzem Mündchen.
Aëtius unterhielt sich höflichkeitshalber mit ihm, bis er schließlich fragte: «Was ist eigentlich mit diesem Konzil von Chalcedon? Was genau beschäftigt Kaiser Marcianus und die fromme Kaiserin Pulcheria, während Attila und seine Horden drauf und dran sind, die gesamte westliche Zivilisation auszulöschen? Worüber debattieren die Bischöfe im Osten denn?»
Sein Sarkasmus war bei diesem Geistlichen verschenkt, denn dieser liebte nichts mehr als über Theologie zu streiten. Voller Enthusiasmus erklärte er: «Nun, zunächst einmal geht es um die barbarischen Abscheulichkeiten der Iren.»
«Die barbarischen …?»
Der Dechant nickte eifrig. «Ja, die Abscheulichkeiten der Iren. Außerdem werden dort im Zuge der Fortschritte, die beim Zweiten Konzil in Ephesus in Bezug auf die Begriffe
homoousion
und
homoiousion
gemacht wurden, die ketzerischen Lehren des Nestorius verhandelt werden – wobei es natürlich mehr um den
Christgebärer
als um den
Gottgebärer
geht. Er selbst war ja nicht zimperlich im Umgang mit den Arianern und den Novatianern, wie Ihr wisst, aber gegen Nestorius wird Theophilus, jener große Denker aus Alexandria, den Kirchenbann aussprechen.»
«Was Ihr nicht sagt.» Aëtius brach sich ein Stück Brot ab. «Gut zu wissen.»
«Aber es sind auch weitere, andersgläubige Stimmen vertreten», sagte der junge Kirchenmann, und seine Miene verdüsterte sich, «zum Beispiel die von Philoxenus von Maboug und Zenobius von Mopsuestia.»
«Und wir mögen ihn nicht, diesen Zenobius von …»
«Zenobius von Mopsuestia!» Vor plötzlicher Wut versprühte er kleine Spucketröpfchen. «Dieser … dieser …» Aber er fand nicht die richtigen Worte, um Zenobius von Mopsuestia zu beschreiben.
Es gibt wahrlich nichts Schlimmeres als den Hass von Eiferern aufeinander, dachte Aëtius. Hatte nicht Athanasius nach Arius’ Tod die Nachricht verbreiten lassen, er sei auf einer öffentlichen Bedürfnisanstalt gestorben?
Der junge Dechant trank ein wenig Wein und fuhr dann ruhiger fort: «Hoffentlich wird die
Ekthesis
des Konzils zu dem Schluss kommen, dass der Unterschied zwischen der göttlichen Natur durch die Vereinigung keineswegs beeinträchtigt wird, sondern dass die Eigenschaften jeder Natur in einem Einzigen bewahrt werden, einem
Prosopon
und einer
Hypostasis
, und zwar mit verschiedenen monoenergetischen und monoteletischen Eigenschaften, versteht
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