Attila - Die Welt in Flammen
leise.
Aber ihre Kräfte waren am Ende. Sie konnten nicht mehr.
Er ließ ein weiteres Mal durchzählen.
Tatullus kam die Treppe herauf und salutierte. Nach einem raschen Blick auf Sabinus’ dick bandagierte Seite sah er ihn direkt an. Kurz blieb es still.
«Herr.»
Sabinus nickte. «Zenturio.»
«Gesunde: vierundzwanzig. Verwundete: an die zweihundert. Leichtverwundete: ungefähr fünfzig.»
Und wie viele Gefallene? Sabinus konnte es sich selbst ausrechnen. Die halbe Legion. Mehr sogar.
«Wie viele von der Hilfstruppe sind noch dabei?»
Tatullus ließ den Blick über das Kastellgelände schweifen. Die Soldaten der Hilfstruppe waren unermüdlich im Einsatz, stützten humpelnde Verwundete, transportierten Tote ab, versorgten die Soldaten mit Trinkwasser, schleppten die letzten Vorräte an Geschossen herbei, die noch im Lager aufzutreiben waren. Dann sah er wieder Sabinus an. «Alle, Herr. Sie haben uns nicht im Stich gelassen. Kein Einziger von ihnen.»
Bei diesen Worten hatte Sabinus den Eindruck, dass es in den Augen seines sonst so hart gesottenen Zenturio verdächtig schimmerte.
* * *
Als Faustriemen seine besudelte Keule an einem Fass voll Wasser säuberte, fiel sein Blick zufällig auf Malchus, den Reiterhauptmann.
Dieser hatte die Dienste des Lazaretts dankend abgelehnt und versorgte, nähte und verband seine Wunden gerade selbst. Eine kleine Holzkiste mit Verbandsmaterial stand neben ihm. Faustriemen beobachtete ihn fasziniert. Malchus schmierte sich eine weißliche Paste auf die frisch genähten Wunden, die intensiv nach Knoblauch und noch etwas anderem roch, Zinkoxid möglicherweise. Er schloss die Augen, legte kurz den Kopf in den Nacken und biss die Zähne zusammen. Brannte wohl, das Zeug. Dann fing er an, seine weniger tiefen Stichwunden zu verbinden. Er hatte viele davon: an den Armen und Beinen, eine sehr üble am Oberschenkel und eine noch schlimmere quer über die Brust. Auch eins seiner Ohren hatte einiges abbekommen. Zum Schluss nahm er eine kleine Flasche mit einer roten Flüssigkeit aus der Kiste und beträufelte die Verbände damit, bis sie sich vollgesogen hatten.
«Rotes Fleisch, Wein, Knoblauch», brummte Faustriemen. «Was treibst du da, willst du einen Auflauf aus dir machen?»
Malchus sah hoch und lächelte unter Schmerzen. «Ja, und ich würde bestimmt auch ausgezeichnet schmecken.»
Faustriemen grunzte skeptisch. «Da lass ich den Damen gern den Vortritt.»
* * *
Drüben auf der Ebene waren Hunnen damit beschäftigt, die gefallenen Reitersoldaten ihrer Rüstung zu entkleiden. Und noch eine andere, geheimnisvolle Gestalt schritt dort im Abendrot umher. Hoch über ihr kreiste ein Geier, als würde er sie im Auge behalten. Sie trug lange, dunkle Gewänder und einen kunstvollen Kopfputz und schien eine sich windende Schlange in den Händen zu halten. Hin und wieder kniete sie neben einem der gefallenen römischen Lanzenreiter nieder wie ein mildtätiger Engel. Arapovian beobachtete sie mit seinen tief liegenden Falkenaugen und sah deutlich, wie einer der sterbenden Reitersoldaten sich auf einmal regte und verzweifelt versuchte, kriechend aus ihrem langen Schatten zu entkommen, ein erbarmungswürdiger Anblick. Der Armenier umklammerte hilflos seinen Bogen, doch er konnte nichts tun. Sie alle konnten nichts tun. Die Frau kniete sich neben den Lanzenreiter, und als sie sich wieder erhob, regte er sich nicht mehr.
Falls keine Hilfe kam, würde sie ihnen am Ende wohl allen auf diese Weise gefällig sein.
10. DAS LETZTE GEFECHT
S abinus sah bei seinen Verwundeten nach dem Rechten, die erschöpft um die weiß gekalkten Mauern des kleinen Lazaretts herumsaßen. Drinnen war längst keine Pritsche mehr frei. Leises Stöhnen erfüllte die Luft. Die Männer waren am ganzen Leib mit dunklem Staub überzogen, der feucht und rot schimmerte. Es roch beißend nach Schweiß und Blut. Ein paar Soldaten der Hilfstruppe taten ihr Möglichstes, um ihnen die hartnäckigen Fliegen vom Leib zu halten. Oh Gott, wenn doch endlich Verstärkung käme! Nicht mehr lange, und es würde keiner mehr übrig sein, dem die Verstärkung, so sie denn überhaupt kam, noch nützen konnte. Doch aus dem Osten und von Ratiaria her … nichts. Sie waren weiter allein und vollkommen auf sich gestellt.
«Herr», sagte sein letzter noch einsatzfähiger Decurio. «Eine neue Abordnung der Hunnen am Westtor.»
Die Hand an die Seite gepresst, kehrte er mit langsamen, vorsichtigen Schritten auf den Wachturm am Tor
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