Auch dein Tod ändert nichts (German Edition)
abgesehen von einem Taxi hin und wieder gibt es keinen Verkehr, der angehalten werden könnte. Der Fußgängerwarnton verklingt und das grüne Zeichen für Gehen flammt auf, auch wenn es keine Fußgänger im eigentlichen Sinn gibt, nur Gruppen
von Jungen und Mädchen, die mitten auf der Straße herumlaufen. Sie lachen, rufen und reden laut und haben offenbar einen Streit, der vermutlich in einer Prügelei enden wird.
»Wen glotzt du denn so an?«, schreit mir ein Mädchen von der anderen Straßenseite aus zu. Der Mund schlaff, die Augen schwarze Löcher in ihrem verschmierten Make-up. Sie ist groß. Der eine Träger ihres knappen Tops hängt runter und zeigt ihre Brust, die sich aus dem schwarzen BH hervorwölbt. Das übrige Top ist während des langen Abends hochgerutscht und gibt den Blick auf ihre Speckrollen frei, die strahlend weiß im gelben Licht der Straßenlaternen glänzen.
»Dich, du fette Schlampe!«
Das will ich rufen, doch ich gebe keine Antwort, zucke nur mit den Schultern und starre zurück. Sie machen mir keine Angst. Das könnte zwar als eine Provokation angesehen werden, doch sie machen immer einen Rückzieher. Die Jungen mischen sich nicht ein. Sie prügeln sich nicht mit Mädchen, und die Mädchen beschränken ihre Raufereien auf die Leute, die sie kennen.
Ich sehe ihn auf der Bank vor dem Rathaus sitzen. Wir haben uns eine Weile nicht gesehen, aber er ist nicht so ganz im richtigen Zustand, Versäumtes nachzuholen. Er redet mehr oder weniger unzusammenhängend, und jedes Mal, wenn er den Mund aufmacht, wirkt er so, als würde er sich gleich übergeben. Ich bin keine Florence Nightingale. Ich wische keine Kotze weg, und ich bin nicht wild auf Blut und Gesabber, und so bin ich froh, als sein Bruder auftaucht.
Gut, dass ich nicht gleich wieder gegangen bin, sonst hätte ich sein Handy nicht gefunden.
Es ist wie das Schloss von einem Safe, als würde ich den Knopf für die richtige Zahlenkombination drehen, und der erste Zahn rastet ein.
Gelegenheit und glücklicher Zufall verdichten sich zur Bestimmung, bewegen sich von dem, was passieren könnte, zu dem, was sein soll.
Ich wiege das Handy in der Hand. Ich kann die Verbindung herstellen. Alles, was ich gesehen habe, verleiht meiner Idee Kraft, treibt mich von der Theorie zur Aktion. Ich spiele damit herum. Der Augenblick der Entscheidung. Während ich es ansehe, flammt das Licht auf und das summende Vibrieren erschreckt mich. Er schickt eine SMS an sich selbst. Die Nachricht besteht hauptsächlich aus Kraftausdrücken, doch ich verstehe das Wesentliche: Er hat bemerkt, dass sein Handy weg ist, und er will es zurück.
Das ist ein Zeichen. Er hat mir die Entscheidung abgenommen. Ich tippe eine SMS an ihn zurück.
Dein Bruder hat das Handy.
Ich stecke das Handy in meine Tasche und mache mich zum Ausgehen fertig. Ich habe nicht die Absicht, es schon jetzt zurückzugeben. Angebote sind viel besser umzusetzen, wenn man noch was in der Hand hat. Ich will wissen, wo er wohnt, und Jamie wird mich direkt zu ihm führen. Sorgfältig wähle ich meine Kleidung aus. Gestreifte Weste, weiße Jeans, Espadrilles, bootstauglich. Dazu noch einen Hut und eine dunkle Brille, und schon bin ich zum Fluss unterwegs. Ein sonniger Samstag im Juli. Ideal für eine Bootsfahrt.
14
Ich denke nicht bewusst an sie, doch seitdem ich sie das erste Mal gesehen habe, geistert sie mir beständig durch den Kopf. Ich unterhalte mich mit Steve, der mit mir bei den Booten arbeitet, gehe dabei aber ständig auch verschiedene Fragen durch. Wie kann ich sie wieder treffen? Wo wohnt sie? Woher kann ich ihre Telefonnummer bekommen? Würde es komisch wirken, wenn ich sie anrufe? Wo kann ich sie finden? Wo ist sie wohl? Wen außer Martha kann ich fragen?
Steve stupst mich an. »Du wirst’s kaum glauben. Wir haben eine Kundin. Die ist heiß!«
Ich blicke auf und da ist sie.
Er tritt vor, um sie zu begrüßen, alle Sprüche schon auf Lager. Ich ziehe ihn zurück. »Schlag dir das aus dem Kopf. Die ist für mich.«
Ich springe in den nächsten Kahn und strecke ihr die Hand hin.
»Danke«, sagt sie. »Schöner Hut.«
Ich trage diesen blöden steifen Strohhut, ein weißes Hemd und schwarze Hosen, die Alan uns an den Samstagen während der Saison tragen lässt. Ich will ihn abnehmen.
»Lass doch.« Mit leicht schief gelegtem Kopf mustert sie mich beifällig. »Der steht dir. Damit siehst du irgendwie französisch aus. Italienisch. Irgendwas. Jedenfalls anders.« Sie lächelt.
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