Auch dein Tod ändert nichts (German Edition)
geschlossen, lasse mich treiben und denke an sie, da höre ich einen Motor starten. Das metallische Klicken und Surren des Gattertors. Meine Augen fliegen auf. Ich will nicht beim Beobachten erwischt werden, von niemandem, am wenigsten aber von ihr. Ich springe von der Mauer, weiche in den Schatten hinter einem Baum zurück und hoffe, dass das ausreicht, um mich zu verbergen. Ich will nicht, dass sie denkt, ich wäre ein Irrer, ein Stalker. Sie hält an und blickt nach links und rechts, auch wenn es keinen Verkehr gibt. Wohin will sie? Ohne auch nur in meine Richtung zu blicken, braust sie davon. Ich bin zu Fuß. Ich kann wohl kaum hinter ihr herrennen. Ich muss sie fahren lassen und gehe los. Ich höre, wie der Wagen beschleunigt, wieder langsamer wird und dann wieder beschleunigt. Es ist so still, dass ich das Geräusch des Motors noch lange höre.
Motoren klingen unterschiedlich. Großvater hat mir das beigebracht. Mit etwas Übung kann man einen vom anderen unterscheiden. Hunden fällt das leicht. Ich bleibe mitten auf der Straße stehen, drehe mich hin und her, versuche, ihren Weg zu verfolgen, versuche, sie aus den anderen Geräuschen um mich herum herauszufiltern. Es scheint, als ob sie in die Stadt fahren würde, doch das kann ich nicht beschwören. Allmählich verklingt das Motorengeräusch und ist nicht mehr von dem entfernten Verkehrslärm der Umgehungsstraße zu unterscheiden.
19
Wie können zwei Brüder nur so verschieden sein? Jamie ist neugierig, einfühlsam. Intuitiv. Will alles wissen, aber übersieht, was direkt vor seiner Nase liegt. Rob ist genau das Gegenteil. Er fragt gar nichts, aber letzten Endes erzähle ich es ihm. Er hat dieselbe Art wie ich. Auge um Auge, Zahn um Zahn.
Er geht geradewegs zu den Trophäen, genau wie Jamie, aber er stellt dazu keine Fragen oder gibt Kommentare. Er sagt nur:
»Wo sind sie?«
Ich nehme ihn mit nach oben und schließe den Waffenschrank auf. Er nimmt die Kanonen vom Ständer, eine nach der anderen, und untersucht jede sorgfältig. Während er das macht, scheint er ein ganz anderer Mensch zu sein – kein Herumalbern, kein Blödeln, keine witzigen Bemerkungen. Er sagt kein Wort, sondern geht mit jeder Kanone auf eine schnelle und entschiedene Art um. Seine Bewegungen sind geschickt und instinktiv, und die Waffen wirken, als wären sie ein Teil von ihm.
»Die hier sind legal. Er hat die Genehmigungen?« Ich nicke. »Wo hebt er die anderen auf?«, fragt er.
Wir sind in Trevors Arbeitszimmer. Trevor ist so absolut normal. Ich
würde nicht sagen, dass er unangenehm gewöhnlich ist. Die Handfeuerwaffen sind sein einziges Vergehen. Er ist ein Sammler. Ihr Besitz ist illegal, doch er kann der Verlockung, sie zu erwerben, nicht widerstehen. Sie zu besitzen gibt ihm einen Kick. Meine Mutter glaubt, dass es harmlose Nachbildungen sind, mit denen man nicht schießen kann. Ich weiß, dass das nicht stimmt. Zusammen mit der Munition verwahrt er sie in einem Safe, schwer in der Hand, angenehm griffig und tödlich. Der Safe befindet sich hinter einem Bild in der Wand. Ich kenne die Kombination.
Rob nimmt jede Kanone einzeln heraus, untersucht sie, probiert den Mechanismus aus, lässt das Gewicht auf sich wirken, probiert, wie sie ihm in der Hand liegt.
»Tadellose Dinger. Munition?«
»Auch da drin.«
Er nimmt eine Schachtel heraus, schüttelt sie, nickt vor sich hin und legt dann alles wieder in den Safe zurück. Ich schließe die schwere Stahltür und drehe die Rädchen am Schloss.
Rob ist das perfekte Instrument, aber wie beim Safe muss ich die richtige Zahlenkombination kennen, damit die Zähne einrasten können. Für politische Argumente ist er nicht sehr aufgeschlossen. Ich habe es versucht. Dann fängt er entweder an zu lachen, oder er tut so, als würde er einschlafen. Wenn ich erkläre, was gerade draußen auf unseren Straßen passiert, sagt er: »Schick die Jungs rein.« Er ist hin- und hergerissen. Wenn ich ihm was über Soldaten und die ungerechten Kriege im Irak oder in Afghanistan erzähle, weiß ich, dass er zuhört. Doch er würde sein Interesse nie zugeben. Er blickt total durch. Auf seine Art ist er genauso klug wie seine Geschwister. Es ist nur so, dass er auf jedes ernste Thema erst mal mit einer Verarschung reagiert.
Ich muss einen anderen Zugang zu ihm finden. Ich arbeite auf meine Art daran, seine Wut zu entfesseln, diese ganze Gewalt in eine konstruktive Aktion zu kanalisieren.
Du zeigst mir deins, ich zeig dir meins.
Eines Tages ist
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