Auch Deutsche unter den Opfern
spreche: Gerhard Schröder. Aber es ist 2008, und es ist Frank-Walter Steinmeier, der jetzt sagt, die Zeiten der Toskana-Fraktion seien genauso überwunden wie die, in denen sich ein Außenminister mit Champagnerglas in der Hand fotografieren ließ – er, Steinmeier, bevorzuge den Champagner des kleinen Mannes, den mit dem Kronkorken. Sagt er wirklich. Jubelnde Brauer, lachende CSUler. Und an den lieben Horst noch: Man sei sich wohl einig, dass Hopfen vor allem ins Bier und erst in zweiter Linie in den Tank gehöre. Steinmeier steigert sich jetzt etwas sinnlos, aber doch absolut publikumswirksam, in Weinbeschimpfungen, gerade so, als sei hier Wahlkampf und er trete als Kandidat der Bierpartei gegen die Weinpartei an; er verheddert sich dann etwas, als er das Populistische endgültig übertreibt und von der »nahenden Fußballweltmeisterschaft« fabuliert, »Europameisterschaft«, wird er berichtigt, richtig, EM, sagt Steinmeier, kriegt die Stadionkurve aber trotzdem nicht mehr, sagt, bei der EM 2006 (hier wäre jetzt WM richtig gewesen) sei ja zum Teil das Bier knapp geworden, und das dürfe natürlich bei der, äh, EM in diesem Sommer nichtpassieren. Der Versprecher ist überwunden, schon vergessen, die Brauer merken sich: Steinmeier ist auf ihrer Seite.
Wie war das noch mal? Steinmeier ist zwar viel beliebter als Beck, aber leider nicht so volksnah? Steinmeier eher der Typ Bundespräsident, zu staatstragend für Marktplätze und Mehrzweckhallen? Jetzt spricht er mit der Hallertauer Hopfenkönigin, dann mit Ottfried Fischer – wie auch immer Beck hier agieren würde, Steinmeier zumindest meistert diese Nahkampfprüfungen problemlos. Nun kommt der Trompeter von der Bonner Dixieland-Zumutung »Semmel’s Hot Shots« zu Steinmeier, sagt, er käme aus dem selben westfälischen Ort wie Steinmeier, die beiden diskutieren, was man hier für Lieder singen würde, wenn man westfälisch unter sich wäre, »Als die Römer frech geworden«, zum Beispiel. Der Trompeter hat eine Rassel in Form einer Plastikbanane in der rechten Hand, mit der linken schenkt er Steinmeier nun eine selbsteingespielte CD. Steinmeier freut sich, scheint kurz davor, dem Trompeter das Du anzubieten, aber da drängen schon wieder lauter mittlerweile von Seehofer mit einer Plakette für ihr gutes Bier bedachte Brauereichefs dazwischen, die Ehefrauen machen ein Foto: Brauereichef mit Plakette und dem nahbaren, freundlichen, lustigen Steinmeier.
Nach seinem Lieblingsbier gefragt, sagt Steinmeier, er möge besonders die regionalen Biere seiner bisherigen Wohnorte, also westfälisches, niedersächsisches und hessisches Bier. Mit anderen Worten, er ist bundesweit wählbar. Humorige Nachfrage eines Radioreporters: Und Beck’s Bier? Ja, Beck’s Bier, sagt Steinmeier sachlich lächelnd, das habe er natürlich auch schon mal getrunken.
Nicht so arrogant wie der Fischer, nicht so bräsig wie der Beck – diese Steinmeier-Charakterisierung summiert sich an den Holztischen unter den gemütlich sich langsam zusaufenden Brauereichefs, Drittreihpolitikern und Journalisten.
Steinmeier geht nun zum Buffet, und als der dort mit einer Kelle stehende Kochmützenmann fragt, was er ihm denn Schönes auf den Teller laden dürfe, sagt Steinmeier den für Beck wirklich hochgradiggefährlichen, nach diesem Abend kaum mehr anzuzweifelnden Satz: »Ich bin ein Freund des Leberkäses.« Zwei Scheiben nimmt er, dazu süßen Senf und etwas Gurkensalat.
Ein RTL-Team lauert ihm dann mit der Kamera auf, bitte noch ein kurzes Interview, »ein klitzekleiner O-Ton wenigstens«, doch Steinmeiers Pressereferent wimmelt sie ab. »Wir wollen doch gar nichts Politisches fragen«, probiert es der RTL-Mann verzweifelt. Nein, wiederholt der Pressereferent – und es bleibt offen, ob dieses Nein »Trotzdem nicht« oder »Eben drum nicht« meint.
Für Frank-Walter Steinmeier jedenfalls war es ein guter Abend.
[ Inhalt ]
Deutschland : Türkei
8 Uhr: In gut 12 Stunden geht es los. Kaffee, Morgengymnastik; das
Müsli-Orakel befragen: Die Augen geschlossen, den Löffel ins Müsli tauchen, ein
bisschen drinherumrühren, den Löffel schließlich heben, die Augen öffnen – ja, eine
Brombeere ist auf der Löffel-Ladung, so ein Glück. Das bedeutet, Deutschland gewinnt
heute Abend. Keine Brombeere auf dem Löffel hätte bedeutet, dass Deutschland
verliert. Aber es ist ja noch mal gutgegangen. Fußball ohne Aberglauben, das wäre
nix.
9 Uhr 30: Wenn man das Frühstücksfernsehen
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