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Auch Deutsche unter den Opfern

Auch Deutsche unter den Opfern

Titel: Auch Deutsche unter den Opfern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benjamin Stuckrad-Barre
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deutsche Fernsehen,
     seine Akteure und Formate in- und auswendig. Und wie sehr er es – in diesem Wissen –
     verabscheut, sollte den Programmverantwortlichen mindestens so zu denken geben wie
     Reich-Ranickis Brandrede. Kalkofe selbst steht auf einer Bühne, während das ZDF das
     Gespräch der Herren Gottschalkund Reich-Ranicki ausstrahlt, und
     führt einen Sketch über die Fernsehpreis-dekorierte Sendung »Deutschland sucht den
     Superstar« auf. Wie endet dieser Sketch? Kalkofe, nicht ohne Vorfreude: »Zum Schluss
     sterben dann alle.«
    Als Höhepunkt dieser nostalgischen Woche, in der
     tatsächlich das ganze Land endlich mal wieder über eine Fernsehsendung gesprochen
     hat, war es nichtmal mehr abwegig, sich – wie früher! – zum gemeinsamen Fernsehen zu
     verabreden. Also, Freitagabend, kurz vor halb elf, man ist verabredet, richtet sich
     nach der Sendezeit und guckt es nicht irgendwann später, nein, wie ein
     Fußballendspiel.
    Hellmuth Karasek schneidet sich eine Zigarre an und
     erzählt, während im ZDF noch das Wetter vorhergesagt wird, von seinen Telefonaten
     mit Reich-Ranicki in der zurückliegenden Woche. Wie dieser hörbar aufgelebt sei
     durch den ganzen Rummel und wie er sich geärgert habe über die Heidenreich und –
     dann ist man schon wieder mit der Hand nah am Fernbedienungsknopf, es ist einfach
     nicht auszuhalten, nichtmal die Wettervorhersage: »Im Norden kocht die Sonne eher
     auf Sparflamme«, sagt die Meteorologin Inge Niedeck, und dass »wir insgesamt aber
     von der Temperatur her gut aufgestellt« seien. Karasek schüttelt sich: »Diese
     Sprache ist so schlimm.«
    Dass, anders als von Reich-Ranickis Preisablehnung, von
     diesem daraus folgenden Gespräch mit Gottschalk nicht wochenlang die Rede sein
     würde, hatte man sich schon gedacht. Es ist eher ein Planschen im Entmüdungsbecken,
     wie es Fußballspieler nach großen Finalspielen tun. Zu Karasek hatte Reich-Ranicki
     nach der Aufzeichnung am Telefon gesagt, das Gespräch sei im Grunde zwecklos
     gewesen, weil kein Intendant dabeisaß. Trotzdem, man sieht es gern; einfach auch,
     weil man sich nun schon ein paar Tage darauf gefreut hatte. Gesagt und geschrieben
     worden war ja vorher schon alles. Brecht, Shakespeare, Schiller – ja, natürlich. Und
     warum läuft nicht jeden Abend ein Film über Henry Kissinger?
    »Die einen reden über Qualität im Fernsehen, die anderen
     arbeiten daran, wie wir, seit 40 Jahren«, eröffnet Luzia Braun im Anschluss dieSendung »Aspekte«. Und führt dann mustergültig vor, wie das Niveau
     des Fernsehens ganz gewiss nicht anzuheben ist: mit dem, was öffentlich-rechtliche
     Sender explizit als »Kultur« anbieten. Schon die Ästhetik dieser Sendungen streckt
     sich so rührend nach Modernität, dass sie automatisch ältlich wirken, hier ein Clip
     und da ein Schnitt; wer sich wirklich für Literatur, Theater oder Film interessiert,
     muss fliehen, und für jeden anderen ist es erst recht eine Zumutung. Also,
     Frankfurter Buchmesse, da einfach mal ganz locker auf einer Party rumstehen und
     Paulo Coelho fragen: »Würde es helfen, wenn man mehr Bänker auf den Jakobsweg
     schicken würde?« Da ist doch dann irgendwie alles drin, oder?
    Karasek stöhnt gequält: »Ich gucke lieber zehn Folgen
     ›Deutschland sucht den Superstar‹ als so was. Diese Art Kulturfernsehen ist das
     Allerschlimmste und Verblödetste. Ich hatte in der Schule einen Physiklehrer, der
     hat mal gesagt: ›Die Relativitätstheorie verstehen auf der Welt nur fünf, sechs
     Leute. Ich werde sie Ihnen jetzt erklären.‹ Und genau so treten die auf in diesen
     Kultursendungen. Wir müssen das ausschalten, ich halte das nicht aus.«

[ Inhalt ]
    Zugfahrt mit der Juso-Vorsitzenden
    Kurz bevor die Zukunft der SPD am Berliner Hauptbahnhof eintrifft, huscht die Vergangenheit vorbei: Die Vergangenheit sieht erholt aus, zieht eine grüne Rolltasche hinter sich her, verschwindet dann eine Treppe hinauf zu den weiter oben liegenden Gleisen; die Zukunft hat es eilig, trägt einen Rucksack, weil sie diese Rolldinger nicht mag, und muss hinunter, Gleis 4. Die Juso-Vorsitzende Franziska Drohsel und der ehemalige Finanzminister Hans Eichel haben sich nur knapp verpasst an diesem Freitagmittag.
    ICE 5111 nach München, über Leipzig und Nürnberg, wo Franziska Drohsel aussteigen wird; am Abend trifft dort der Juso-Bundesvorstand zusammen, am Samstag die SPD zu einem »Zukunftskonvent«; die Türen schließen selbsttätig,

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