Auch Deutsche unter den Opfern
deutsche Fernsehen,
seine Akteure und Formate in- und auswendig. Und wie sehr er es – in diesem Wissen –
verabscheut, sollte den Programmverantwortlichen mindestens so zu denken geben wie
Reich-Ranickis Brandrede. Kalkofe selbst steht auf einer Bühne, während das ZDF das
Gespräch der Herren Gottschalkund Reich-Ranicki ausstrahlt, und
führt einen Sketch über die Fernsehpreis-dekorierte Sendung »Deutschland sucht den
Superstar« auf. Wie endet dieser Sketch? Kalkofe, nicht ohne Vorfreude: »Zum Schluss
sterben dann alle.«
Als Höhepunkt dieser nostalgischen Woche, in der
tatsächlich das ganze Land endlich mal wieder über eine Fernsehsendung gesprochen
hat, war es nichtmal mehr abwegig, sich – wie früher! – zum gemeinsamen Fernsehen zu
verabreden. Also, Freitagabend, kurz vor halb elf, man ist verabredet, richtet sich
nach der Sendezeit und guckt es nicht irgendwann später, nein, wie ein
Fußballendspiel.
Hellmuth Karasek schneidet sich eine Zigarre an und
erzählt, während im ZDF noch das Wetter vorhergesagt wird, von seinen Telefonaten
mit Reich-Ranicki in der zurückliegenden Woche. Wie dieser hörbar aufgelebt sei
durch den ganzen Rummel und wie er sich geärgert habe über die Heidenreich und –
dann ist man schon wieder mit der Hand nah am Fernbedienungsknopf, es ist einfach
nicht auszuhalten, nichtmal die Wettervorhersage: »Im Norden kocht die Sonne eher
auf Sparflamme«, sagt die Meteorologin Inge Niedeck, und dass »wir insgesamt aber
von der Temperatur her gut aufgestellt« seien. Karasek schüttelt sich: »Diese
Sprache ist so schlimm.«
Dass, anders als von Reich-Ranickis Preisablehnung, von
diesem daraus folgenden Gespräch mit Gottschalk nicht wochenlang die Rede sein
würde, hatte man sich schon gedacht. Es ist eher ein Planschen im Entmüdungsbecken,
wie es Fußballspieler nach großen Finalspielen tun. Zu Karasek hatte Reich-Ranicki
nach der Aufzeichnung am Telefon gesagt, das Gespräch sei im Grunde zwecklos
gewesen, weil kein Intendant dabeisaß. Trotzdem, man sieht es gern; einfach auch,
weil man sich nun schon ein paar Tage darauf gefreut hatte. Gesagt und geschrieben
worden war ja vorher schon alles. Brecht, Shakespeare, Schiller – ja, natürlich. Und
warum läuft nicht jeden Abend ein Film über Henry Kissinger?
»Die einen reden über Qualität im Fernsehen, die anderen
arbeiten daran, wie wir, seit 40 Jahren«, eröffnet Luzia Braun im Anschluss dieSendung »Aspekte«. Und führt dann mustergültig vor, wie das Niveau
des Fernsehens ganz gewiss nicht anzuheben ist: mit dem, was öffentlich-rechtliche
Sender explizit als »Kultur« anbieten. Schon die Ästhetik dieser Sendungen streckt
sich so rührend nach Modernität, dass sie automatisch ältlich wirken, hier ein Clip
und da ein Schnitt; wer sich wirklich für Literatur, Theater oder Film interessiert,
muss fliehen, und für jeden anderen ist es erst recht eine Zumutung. Also,
Frankfurter Buchmesse, da einfach mal ganz locker auf einer Party rumstehen und
Paulo Coelho fragen: »Würde es helfen, wenn man mehr Bänker auf den Jakobsweg
schicken würde?« Da ist doch dann irgendwie alles drin, oder?
Karasek stöhnt gequält: »Ich gucke lieber zehn Folgen
›Deutschland sucht den Superstar‹ als so was. Diese Art Kulturfernsehen ist das
Allerschlimmste und Verblödetste. Ich hatte in der Schule einen Physiklehrer, der
hat mal gesagt: ›Die Relativitätstheorie verstehen auf der Welt nur fünf, sechs
Leute. Ich werde sie Ihnen jetzt erklären.‹ Und genau so treten die auf in diesen
Kultursendungen. Wir müssen das ausschalten, ich halte das nicht aus.«
[ Inhalt ]
Zugfahrt mit der Juso-Vorsitzenden
Kurz bevor die Zukunft der SPD am Berliner Hauptbahnhof eintrifft, huscht die Vergangenheit vorbei: Die Vergangenheit sieht erholt aus, zieht eine grüne Rolltasche hinter sich her, verschwindet dann eine Treppe hinauf zu den weiter oben liegenden Gleisen; die Zukunft hat es eilig, trägt einen Rucksack, weil sie diese Rolldinger nicht mag, und muss hinunter, Gleis 4. Die Juso-Vorsitzende Franziska Drohsel und der ehemalige Finanzminister Hans Eichel haben sich nur knapp verpasst an diesem Freitagmittag.
ICE 5111 nach München, über Leipzig und Nürnberg, wo Franziska Drohsel aussteigen wird; am Abend trifft dort der Juso-Bundesvorstand zusammen, am Samstag die SPD zu einem »Zukunftskonvent«; die Türen schließen selbsttätig,
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