Auch Deutsche unter den Opfern
rausgehen. Die aber schlafen grad so schön, und es gibt ja auch noch allerlei zu trinken und zu besprechen. »Dieter, jetzt hol doch mal die Anwaltsbriefe«, bittet Renate Hildebrandt schließlich, um die Thematik Richling/Titelstreit dann auch mal abzuschließen für heute – »und ab morgen gibt es dann hoffentlich wieder wichtigere Themen, meine Güte noch mal«.
Auf dem Wohnzimmertisch werden nun Kopien der Korrespondenz zwischen Hildebrandts Anwalt und dem Sender aufgefächert, schönste Anwaltsprosa, null Aufregung und natürlich auch kein Hass. Davon hatte Richling nichts erzählt, vielleicht auch gar nichts gewusst: In einem Schreiben an Hildebrandt wird – eher freundschaftlich-privat am Rande – ein Justitiar des Bayerischen Rundfunks erwähnt, der »als ›Scheibenwischer‹-Fan der ersten Stunde« froh sei, dass die Nachfolgesendung nicht diesen Namen tragen darf. Angehängt außerdem ein Auszug aus dem »Titelschutzanzeiger«, demzufolge sich der Sender nicht nur die Namensrechte für »Satire Gipfel« gesichert hat, sondern auch noch für ähnlich missglückte Alternativen: »Satire GmbH«, »ErstesDeutsches Kabarett«, »Das Erste Deutsche Kabarett«. Aua. Schon lustiger sind da die nebenan aufgeführten Titel, die sich irgendein anderes Genie hat sichern lassen: »Was fehlt denn meinen Pflanzen?« oder auch »200 besondere Winkel unserer Heimat«.
Es ist spät geworden, die dritte Rotweinflasche ist geleert, und Renate Hildebrandt möchte jetzt abschließend doch noch mal etwas Freundliches über Mathias Richling sagen, »es gibt schließlich auch noch einen anderen Mathias«. Sie erzählt, wie Richling sie mal bei einer Filmpremiere rettete, indem er flugs ihren eingerissenen Hosenanzug genäht hat. Und heute? Ach, heute sei er so aufgeregt gewesen; sie blickt zu ihrem Mann: »Weil er es dir beweisen wollte.« Hildebrandt grummelt irgendwas, steht auf und geht noch mal kurz mit den Hunden raus.
[ Inhalt ]
Das Deutsche Fernsehen
»Entstehen Ihre Bilder aus dem Bauch heraus?« Der Maler
Gerhard Richter schaut angewidert auf das ihm entgegengestreckte orange
ZDF-Mikrophon und bricht das Interview ab. Schon einer so einfachen Frage verweigere
er sich leider, sagt eine dieser öffentlichrechtlichen Höchstkulturstimmen, schade,
»Erklärungen gibt es keine« für Richters »Farbenspiele, vielschichtig aufgetragen
mit Spachtel und Pinsel«. Statt sich für die besonders dumme Frage seines
Mitarbeiters zu schämen, fand Nachrichtensprecher Steffen Seibert offenbar, der
Fehler liege beim so angegangenen Künstler, und leitete routiniert augenzwinkernd
über: »Das Wetter wird morgen etwas freundlicher.«
Und das war dann Kultur. Qualität! Programmauftrag!
Das war am Donnerstag, und es war ein Beispiel für das
große Missverständnis »Kultur im Fernsehen«, Kultur immer gemeint als Qualität,
stets mit diesem Unterton, den man von Fernsehkommissaren kennt, wenn sie
Angehörigen eine Todesnachricht zu überbringen haben: »Dürfen wir reinkommen, das
besprechen wir lieber nicht im Treppenhaus, wir müssen Ihnen etwas sehr Trauriges
mitteilen – Kultur.«
Zwar hatte Marcel Reich-Ranicki das deutsche Fernsehen
effektvoll blamiert mit seiner Fernsehpreis-Nichtannahme, doch erlebte es gerade
deshalb eine goldene Woche: Endlich wurde überhaupt mal wieder darüber gesprochen,
endlich gab es mal wieder ein kollektives Fernseherlebnis, die Ausschnitte von
Reich-Ranickis amüsantem Wutanfall und Gottschalks geistesgegenwärtiger Schlichtung
hatte tatsächlich jeder gesehen (kleiner Treppenwitz am Rand: Das von
Fernsehverantwortlichen so gefürchtete Internet hat diese Verbreitung erst
ermöglicht). Wenn sich also im Fernsehen ausnahmsweise mal ein besonderer Moment
ereignet, dann interessiert es auch wieder.
Dass weder Reich-Ranicki noch Gottschalk das gegenwärtige deutsche
Fernsehprogramm gut genug kennen, um substanziell darüber zu sprechen, bestritten
nicht einmal sie selbst, aber die große Aufregung zeigte: Da hat der Falsche das
Richtige gesagt. Dass das Fernsehen auch über sinnvolle Potentiale verfügt, hat
Reich-Ranicki nie bestritten, schon 1961 befand er: »Wir können es nicht abschaffen.
Vielleicht kann man es aber verbessern?« Seine Idee damals, man ahnt es: Literatur!
Roman-Verfilmungen, Bücher-Sendungen. Damals gab es noch keine privaten Sender,
keinen Atze Schröder und nur einen Fernsehkoch.
Mittlerweile ist das Fernsehen
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