Auch Deutsche unter den Opfern
Vorsicht bei der Abfahrt. Franziska Drohsel nimmt in Wagen 27 ihren reservierten Sitzplatz 91 ein, natürlich zweiter Klasse. Vormittags hat sie noch schnell in die Kamera des ARD-»Mittagsmagazins« gesagt, dass sie die Teilprivatisierung der Bahn missbilligt.
Kaum dass sie sitzt, meldet ihr Blackberry den Eingang einer SMS: Der Ralf aus dem Bundesvorstand erkundigt sich, ob die teilprivatisierungskritische PM rausgegangen sei; PM für Pressemitteilung. Die Juso-Vorsitzende fragt die neben ihr sitzende, für die Pressearbeit der Jusos zuständige Daniela, ob die PM ausgesendet wurde, Daniela bestätigt dies, ja, per Fax und Mail. Natürlich haben diese Jusos auch Nachnamen, aber unter Genossen, sagt Drohsel beziehungsweise Franziska oder auch Franzi, unter Genossen duzt man sich. Das ist so. Wenn jetzt Frau Schwan vorbeikäme, würde sie es zwar zu umschiffen versuchen, aber eigentlich: Gesine. Formal muss ich sie duzen, sagt Franzi. Gesine Schwan wird auftreten beim »Zukunftskonvent«, Kurt Beck wird eine Redehalten, und weil es seit Monaten drunter und drüber geht in der SPD (vor allem drunter), wird diese Rede Becks – was nicht für viele seiner Reden gilt – »mit Spannung erwartet«. Zwischen Kurt Beck, Mittagspause und Gesine Schwan wird es verschiedene Podiumsdiskussionen geben, Franziska Drohsel wird an einer teilnehmen, da gehe es um linke Sozialpolitik, um »eine kritische Bestandsaufnahme von ›Fördern und Fordern‹«. Leistungskürzungen, nur weil jemand nicht zu irgendwelchen bescheuerten Psychotrainings gehe, da könne sie sich echt aufregen drüber, denn letztlich hieße das ja, wer nicht arbeiten geht, kriegt nichts zu essen.
Sie zieht die »FAZ« aus ihrem Rucksack und sagt, dass sie sich voll blöd vorkomme, aber sie abonniere die »FAZ« nun mal, obwohl die ja nun nicht gerade links sei; das sei irgendwie durch das Jura-Studium gekommen, das »FAZ«-Lesen, zu juristischen Themen biete diese Zeitung einfach die ausführlichste Berichterstattung. Den Politikteil lese sie, so ’n bisschen die Wirtschaft – und, wenn sie viel Zeit habe, auch das Feuilleton. Ein Freund aus der Uni habe ihr morgens beim Kaffeetrinken erzählt, dass darin heute ein Verriss des »Sex & The City«-Films stünde. Die Serie habe sie total super gefunden, aber das sei höchstwahrscheinlich so ein Frauen-Ding. »Ein Konvent für Beck« ist ein Artikel auf Seite eins der »FAZ« übertitelt, Drohsel überfliegt ihn und murmelt: Guck mal an, dreitausend Leute kommen da hin, ist ja ganz ordentlich.
Sie guckt aus dem Fenster, der vollbesetzte ICE saust durchs Land. Diese Strecke ist wahrscheinlich rentabel, sagt Drohsel, aber wenn es nur noch um Rendite geht bei der Bahn, was wird dann aus weniger frequentierten Nahverkehrsstrecken? Und aus der Streckensicherheit? Ein Blick nach England genüge doch, zu sehen, wohin das führt.
Die Bahnreform ist eine dieser mittlerweile klassischen Beckschen Eiertanz-Kreisquadraturen. So wie die Haltung, genauer: Haltungen zu Linkspartei, Abgeordneten-Diäten, Bundespräsidentenwahl und so weiter. Schwierigkeiten bei der Umstellung auf das »Fünf-Parteien-System« kann die SPD nicht haben: Betrachtet man sie dieser Tage etwas genauer, hat man den Eindruck, sie selbst bestünde schon aus fünfkonkurrierenden Parteien. Bei so quälender Gegenwart ist ein beherzter Hüpfer in die Zukunft naheliegend; ein Zukunftskonvent, die Erwartungen sind groß. Wird alles wieder gut – oder alles noch schlimmer? Wird man eines Tages sagen, von Nürnberg ging ein Signal aus? Bekommt der Name der Stadt im Zusammenhang mit der SPD einen historischen Klang – wie Mannheim? Mit Hamburg hat man das im letzten Jahr probiert, es hat nicht lang vorgehalten. In Mannheim 1995, als Lafontaine gegen Scharping putschte, trat die damalige Juso-Vorsitzende Andrea Nahles ans Mikrophon und sagte, »Rudolf, das war mir zu viel Lirum Larum Löffelstiel«. Ist die Vorstellung abwegig, dass Franziska Drohsel nun in Nürnberg sagen wird, Kurt, das war mir zu viel und so weiter? Abwegig nicht, sagt Drohsel, aber wo denn die linke Alternative zu Beck sei?
Hm – Andrea? Also: Nahles?
Franziska Drohsel sagt nichts, und ihr Blick sagt, dass sie dazu jetzt nichts sagt. Zu irgendetwas nichts zu sagen, fällt ihr allerdings schwer, und so sagt sie sicherheitshalber mal schnell, dass sie an Kurt (sie sagt Kurt, ja) inhaltlich manches auszusetzen habe, nichts aber an seiner Parteiführung.
Ihr Blackberry düdelt, diesmal
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