Auch Deutsche unter den Opfern
eines auf jeden Fall nicht
geworden: weniger verbesserungswürdig. Der strahlend selbstvergessene Irrsinn auf
der Fernsehpreisbühne genügte Reich-Ranicki für seine Blickdiagnose, und seine
Abscheu konnte jeder nachvollziehen, mit Ausnahme von Veronica Ferres (was natürlich
bekräftigend wirkt).
Doch wie schlecht genau ist das deutsche Fernsehen eigentlich?
Einer, der sich gerade mit den Niederungen des Programms im Detail auskennt und zu
einem durchaus ähnlichen Urteil wie Reich-Ranicki kommt, ist Oliver Kalkofe. Seit
vielen Jahren kritisiert der das Fernsehen im Fernsehen, schlägt es mit dessen
eigenen Waffen. In seiner Sendung »Mattscheibe« nimmt er sich die schlimmsten
Entgleisungen vor und seziert sie, montiert sie zu noch größerem Schwachsinn, er tut
das angemessen drastisch, grob, pointiert – würde Reich-Ranicki das deutsche
Fernsehen wirklich kennen, an Kalkofe hätte er seine Freude. Natürlich, man muss es
nicht kennen. Aber falls doch, ist eine Diskussion darüber, wie man es verbessern
könnte, so unausweichlich wie interessant. Und Kalkofe ist gewiss ein geeigneter
Kronzeuge. Kürzlich hat er in einem Gymnasium mit Schülern darüber gesprochen, er
hat sie gefragt, was sie sich gern ansehen, und bekam die braven Lügen zu hören:
Dokumentationen, Tierfilme, Nachrichten, Reportagen; das übliche Arte-Alibi. Es
waren aber auch Lehrer im Raum, vielleicht lag es daran.
Keineswegs wünsche er sich das Programm, das Reich-Ranicki
sich erträume, sagt Kalkofe, »für den ist ja 3sat schon Super-RTL«. Sehr wohl aber
wünsche er sich »ein Programm, das die Zuschauer nicht dermaßen verachtet«. Die
Sendung »Mattscheibe« sei als Notwehrmaßnahme entstanden, Notwehr gegen das
permanente Schwachsinnsbombardement. Kalkofe ist, was das Fernsehen betrifft, ein
enttäuschter Liebhaber, und er rächt sich bitter. Gutes Fernsehen aber – wie sähe
das aus? Da muss Kalkofe nicht lange überlegen: »Dazu müssten die Programm-Macher
endlich mal die Zuschauer, aber auch sich selbst und ihre Vorlieben ernst nehmen.«
Er saß oft genug mit Redakteuren von Sendern zusammen, und immer wenn er ihnen etwas
Neues vorschlug, sei die ängstliche Frage gekommen, womit man das Vorgeschlagene
vergleichen könne. Und wenn etwas nicht vergleichbar ist, sondern neu, noch nie
dagewesen, heiße es: »Schwierig, das ist noch nicht getestet.«
Es herrsche, sagt Kalkofe, bei den Sendern eine ungeheure
Angst vor eigener Meinung, Haltung, eigenem Gefühl. Sein Traumprogramm seieine Vielfalt, die sich nicht allein an der Zahl der frei
empfangbaren Sender bemisst, sondern an Sendungen, bei denen nichtgemeinte Zuschauer
auch mal empört abschalten. Kalkofe möchte keine Richter-Show und keinen
Musikantenstadl absetzen – sein Vater zum Beispiel schaue sowas gern. Aber ein
Sender müsse doch verschiedene Ansprüche bedienen. Der Auftrag! Nicht dieses Zielen
auf die Mitte, das Allgemeingültige, Gefallsüchtige, so könne es doch nur flach
werden. Unmöglich, mit einer Sendung alle zu erreichen – trotzdem werde das ständig
weiter probiert. Die öffentlich-rechtlichen Sender seien in dieser Hinsicht noch
schlimmer als die Privaten: »Man kann nicht mit denen reden, es sei denn, man hat
drei Jahre Zeit, und es ist einem wurscht, wenn dann nichts draus wird.«
Das Fernsehen sei kurz davor, sich selbst abzuschaffen.
Freiwillig schaut Kalkofe kaum noch das reguläre Programm, er weicht, wie so viele,
lieber auf amerikanische Serien aus, die er auf DVDs kauft, denn selbst wenn sie im
deutschen Fernsehen liefen, sei das nicht auszuhalten, »da plingt und klingelt es am
Bildrand, es laufen Männchen ins Bild und bewerben die darauffolgende Sendung oder
ein Telefongewinnspiel, es werden Werbepausen an den falschesten Stellen gesetzt,
die Programm-Macher gehen damit völlig respektlos um, wie mit einem alten Stück
Fleisch. Ich kann dem Fernsehen in dieser Hinsicht nicht mehr vertrauen. Wenn es mal
ausnahmsweise was Gutes gibt, versauen sie einem selbst das noch.«
Das vom ZDF anberaumte fernsehkritische Gespräch zwischen
Gottschalk und Reich-Ranicki werde natürlich nichts bringen, das sei ja, als spräche
man mit jemandem vom Robert-Koch-Institut über Computerviren, es wird, da ist sich
Kalkofe sicher, eine groteske Veranstaltung. Er macht sie schon mal im Vorhinein
nach und trifft dabei den Gottschalk-Ton sehr gut, er kennt das
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