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Auch Deutsche unter den Opfern

Auch Deutsche unter den Opfern

Titel: Auch Deutsche unter den Opfern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benjamin Stuckrad-Barre
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Hildebrandt schließlich richtige Geschichten auf Lager. Wie sagte Richling? »Bei Cindy aus Marzahn sehe ich Potential.« Hildebrandt spricht jetzt über Wolf von Lojewski und Nelson Mandela, er regt sich wahnsinnig auf, und es ist sofort sehr lustig in der Küche: Hildebrandt springt auf und zeigt, wie sie damals in der Schule »den Goebbels mit seinem Klumpfuß« nachgemacht haben; Hildebrandt humpelt also jetzt als Goebbels bis zur Stehlampe und kommt zurück als Unteroffizier Rützow, der eigentlich Kommunist und Sargträger war und Hildebrandt und dessen Kameraden, Kinder ja eigentlich noch, in den letzten Kriegstagen sinnlos durch die Gegend befehligte. Ob das politische Kabarett nun vom Aussterben bedroht ist (oder Bücher oder gedruckte Zeitungen), ist ja ein ergiebiges Quatschthema; jedoch: Engagiert, informiert und komisch über unser Land zu sprechen, wie Hildebrandt hier jetzt in seiner Küche, wird immer gefragt sein – und nötig. Problematisch an politischem Kabarett ist eher das Publikum, das sich stets einig wähnt und schon bei Namensnennung eines Politikers losprustet. Auswege aus diesem Dilemma heißen allerdings gewiss nicht »jung und schnell« oder Cindy aus Marzahn.
    Der »Satire Gipfel« schreitet eilig und doch zäh voran; die Hildebrandt-Hunde wedeln mit den Schwänzen, und Dieter Hildebrandtentkorkt etwas umständlich eine Flasche Rotwein, er umklammert die Flasche mit den Schuhen und zerrt am Korkenzieher, während Richling auf dem Bildschirm schwitzt; »Achtung, der Teppich!«, ruft Hildebrandts Frau. »Nichts passiert«, sagt er und lässt einen 2007er Salento Primitivo in die Gläser gluckern.
    Jetzt müht sich einer von Richlings jungen Supergästen, er heißt Matthias Seling und ist überhaupt nicht komisch, aber er trägt Hut und Ziegenbart, das wird wohl diese Verjüngung sein. Selings Beitrag handelt von Telekom und Taliban, er lacht vorsichtshalber weiträumig um die Stellen seines Textleins herum, die er für Pointen hält, nickt immerzu und streckt in Applauserwartung die Hände aus. »Der freut sich so an sich selbst«, wundert sich Hildebrandt. Mag die Sendung auch neu und live sein, so sind die verhandelten Themen doch merkwürdig abgestanden. Gemäßigte Taliban, Alois Mannichl – und dann kommt Richling mit dem auch schon etwas betagten Mißfelder-Zitat, eine Erhöhung des Hartz IV-Satzes würde sich positiv vor allem auf die Umsätze der Tabak- und Spirituosenindustrie auswirken; er hält illustrativ zwei Bierflaschen in der Hand. Frau Hildebrandt erhebt ihr Weinglas Richtung Fernseher: »Prost, Mathias!« Richling lässt die beiden Bierflaschen aneinanderklirren, er stößt mit sich selbst an.
    Der einzige erträgliche Auftritt ist der von Frank Lüdecke. Hildebrandt rutscht nach vorn auf die Sofakante und ruft: »So, Frank, Junge, reiß es raus!« Lüdecke reißt es so ein bisschen raus, er variiert sogar mal Sprechtempo und Lautstärke, hat ein paar gute Pointen und fällt damit in diesem Ensemble schon sehr auf.
    Als Höhepunkt gedacht dann Richlings Politiker-Parodie, wen wird er sich heute wohl vornehmen? Wieder mal eine Politikerin, so übertrieben und charleystantig, dass man sich beim Zuschauen an seiner statt schämt? Nein, heute Minister Guttenberg, und zwar mit einem Schulranzen, weil der doch ein so junger Minister ist! »Äh, ähm, Adel vernichtet …« – Hildebrandt sinkt ins Sofa zurück: »Nein, nein, Mathias, mach’s nicht!«
    Er macht es aber. Und er macht den Guttenberg sehr lang und sehr unkomisch. Der habe sich doch noch gar nichts zuschulden kommen lassen, sagt Hildebrandt, gut, über des Ministers Selbstbewusstsein könne man zwei, drei Bemerkungen machen – »aber davon muss eine dann richtig sitzen. Der Mathias sollte zur Abwechslung mal wieder den Mathias spielen, den hat er irgendwie verlernt, den gibt es gar nicht mehr.«
    Der Abspann läuft, Richling und seine Mitkomödianten verbeugen sich; Hildebrandt, etwas hinterhältig: »Die sehen doch sehr zufrieden aus.« Das also war der »Satire Gipfel«, ohne Bindestrich, ohne Scheibenwischer, ohne Hildebrandt. Hatte das Gesehene noch irgendwas mit ihm, mit seiner Idee von Kabarett zu tun? Nee, sagt Hildebrandt. Und ein Gipfel sei es sicherlich nicht gewesen, aber einige Hügel immerhin seien doch zu erkennen gewesen.
    Das Telefon klingelt, erste Solidaritätsbekundungen.
    Eine weitere Flasche Rotwein wird entkorkt, und Frau Hildebrandt mahnt an, jemand müsse heute noch mit den Hunden

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