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Auch Deutsche unter den Opfern

Auch Deutsche unter den Opfern

Titel: Auch Deutsche unter den Opfern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benjamin Stuckrad-Barre
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trägt eine Hotel-Angestellte einen Karton »Merci«-Schokolade in das Tagungshäuschen. Danke – wem? Für was?
    Als Erste tritt um kurz nach vier Angelica Schwall-Düren vor die wartenden Journalisten, eine Dame, die nicht jedem hier bekannt ist. Angelica wer? Eine der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden, aha. So vielen Mikrophonen und Kameras stand sie gewiss noch nie gegenüber, aber sie macht das ganz gut und bestätigt nun: Beck zurückgetreten, Steinmeier Kanzlerkandidat und so lange Vorsitzender, bis dann Franz Müntefering gewählt ist. Nein, ein Putsch sei das nicht gewesen, sagt sie natürlich auch noch.
    Um zwanzig nach vier treten Steinmeier und Heil gemessenen Schrittes hinter zwei Rednerpulte: »So, sind wir soweit?«, beginnt Steinmeier und spricht dann von einem »schweren Tag für uns alle«. Respekt und Dank für Beck, na selbstverständlich. Und während sich in Berlin Pofalla warmschießt, geht auch Steinmeier der Widerspruch gut über dieLippen, dass man keineswegs jetzt ein Jahr lang Wahlkampf betreiben werde, aber das deutlich bessere Programm habe als der derzeitige Koalitionspartner. Hubertus Heil findet das auch alles sehr schade, aber trotzdem gut – und dass Steinmeier »alle Voraussetzungen« für das Amt des Kanzlers habe, das wisse schließlich »jeder in Deutschland«. Steinmeier verabschiedet sich mit den Worten »Demnächst mehr«.
    Auf die Frage, ob jetzt auch Schröder zurückkomme, sagt der gewohnt brummige Peter Struck: »Nun lasst mich mal in Ruhe Motorrad fahren.« Hubertus Heil sagt es etwas anders: »Die SPD braucht jetzt eine neue Kultur der Gemeinsamkeit.«
    Um 17 Uhr werden zwei Kartons aus dem Tagungshäuschen getragen und in einem Chrysler mit Hamburger Kennzeichen verstaut, grüne Mappen mit der Aufschrift »Sitzungsunterlagen« liegen darin und Broschüren mit dem Titel »Unsere Bilanz in Stichworten«. Hatte nicht eigentlich heute wieder mal irgendein »Papier« vorgestellt werden sollen? »Eigentlich« ist eins der wichtigsten Wörter an diesem wirren Tag.
    Auf dem Rasen am See führen nun Wagner und Deppendorf ihr Sommer-Interview für den »Bericht aus Berlin«, sie haben doch noch jemanden gefunden: Peer Steinbrück. Man müsse nach vorne gucken, zitiert der Finanzminister den zurückgetretenen Parteivorsitzenden, und er spricht auch von Enttäuschungen, die Kurt Beck empfunden und erlebt habe. Hinter Steinbrück schaukeln ein paar Boote auf dem See, die Wellen werden zum Abend stärker, wie alle gutmütigen Naturen kann er heftig werden, der See, der Beck – es wird langsam dunkel.
    Hatte nicht Müntefering, als er zum ersten Mal Parteivorsitzender geworden war, einer der zahlreichen der letzten Jahre, gesagt, dieses Amt sei »das schönste neben Papst«? Diesmal soll es klappen. Im Garten des Hotels steht eine große Skulptur des Künstlers Hans Otto Lehnert, sie ist aus nichtrostendem Stahl gefertigt und heißt »Traum von der Wiederkehr«. Auf die Frage, ob Müntefering dann auch ganz bestimmt gewählt werde und da endlich mal die gesamte Partei »mitzieht«, sagt Steinbrück, das sei ganz sicher, die SPD sei schließlich nicht verrückt.

[ Inhalt ]
    Die Sonntagsfrage
    Bei einem weiteren Versuch, dieses Land zu begreifen, steht man so herum beim »Sommerfest der Linkspartei« und fragt sich, wie um Himmels Willen dieser öde Haufen mit seinen zwei begabten Rhetorikern die gesamte Republik in Panik versetzen kann. Oskar Lafontaine streitet mal wieder mit einem Journalisten über Angela Merkels Auslandsaufenthalte während ihres Studiums (»Moskau!« – »Prag!« – »Moskau!!«), und Gregor Gysi nimmt Komplimente entgegen. Gregor, sagt die leicht angetrunkene Dame neben ihm am Stehtisch, du bist der einzige Politiker, der den Konjunktiv korrekt verwendet.
    Ach ja, denkt man da, der Konjunktiv – den braucht man in der Politik. Der beliebteste Konjunktiv der Berliner Republik, dem so viel Bedeutung beigemessen wird, als handele es sich um einen Indikativ, ist die Sonntagsfrage: Welche Partei würden Sie wählen, wenn am Sonntag Bundestagswahl wäre?
    Zweieinhalb Kilometer, natürlich westlich, vom Sommerlinksfest entfernt beschäftigen sich ebenfalls Menschen mit Politik und Konjunktiv: Im Meinungsforschungsinstitut Forsa werden gerade die letzten telefonischen Umfragen für heute durchgeführt, und Teil der täglich von 17 bis 21 Uhr erhobenen Meinungen sind die Sonntagsantworten.
    Man steigt mit Forsa-Geschäftsführer Manfred Güllner in den

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