Auch Deutsche unter den Opfern
kaum nennen: Da ja, wie Herr Egy so richtig sagte, jeder a Problem hat, gibt die Sekte vor, bei der Erkennung und Lösung jedes Problems behilflich zu sein, und das kostet dann logischerweise Geld, und zwar ziemlich viel Geld. Scientology selbst spricht aber natürlich lieber von Glück und Erlösung.
Die Journalisten sind jetzt da, und Sabine Weber, die Präsidentin von Scientology Berlin, führt ihnen ein paar Werbefilme ihres Menschheitsbeglückungsvereins vor. Gegen Verlogenheit und Kitsch dieser Filme wirkt eine Pilcher-Verfilmung geradezu Tagesschau-nüchtern. Aber die Journalisten sind ja nicht blöd und zählen all die hinlänglich bekannten Argumente gegen die Sekte auf, die Gerichtsbeschlüsse und die Opfer-Beispiele. Und was macht Präsidentin Weber? Die sagt allen Ernstes: »Meine Antwort auf Kritik ist Aufklärung.« Sie zählt die Länder auf, die das mit Scientology nicht so eng sehen wie Deutschland. Und sie zeigt schnell noch ein paar weitere Filmchen. Die in diesen Filmen auftretenden Menschen haben genau wie Präsidentin Weber einen Gesichtsausdruck, der nichts zeigt außer vollständiger Verstandesbefreiung – instrumentalisiert oder dreist, je nachdem, welchen Platz sie in der Sektenhierarchie innehaben.
Es geht gerade um »den Weg zum Glück«, als einer der Journalisten, mit einem Fotoapparat winkend, unterbricht: »Ich hätt auch was zum Thema Glücklichsein – wer hat denn hier seine Kamera liegen lassen?« Der Besitzer nimmt sie dankbar an sich und beeilt sich dann, auf schnellstem Wege das Gebäude zu verlassen.
[ Inhalt ]
Jonathan Meese malt einen Warhol
Wie ehrt man ein Genie? Also: Das Genie hat Geburtstag, ist allerdings schon tot – wem schickt man da die Torte? In diesem Fall: Wie können wir Andy Warhols 80. Geburtstag in der Zeitung feiern? Machen wir es doch am besten ganz umweglos, direkt und auf die sogenannte Zwölf, schließlich geht es um Andy Warhol, bei dem doch auf den ersten Blick auch immer alles so brutal direkt war und der stets in allem behauptet hat, dass es überhaupt nur diesen ersten Blick gibt. Und nichts dahinter. Stellen wir uns also zur Feier des Tages mal ganz blöd, was heißt hier blöd, nein, nehmen wir Warhol beim Wort und bei der Kunst: Seien wir doch mal hübsch oberflächlich.
Was fällt jedem als Erstes zu Warhol ein? Sein prophetischer Ausspruch, in Zukunft könne jeder Mensch für 15 Minuten ein Star sein – und natürlich die Campbell’s-Suppendosen. Schön, aber welches in Berlin lebende Genie würde über Nacht für unsere Leser eine Warhol-Tribut-Suppendose aufs Papier bringen? Es arbeiten ja nicht gerade wenige Künstler in Berlin, welcher von denen ist brillant, schnell, völlig anders als Warhol und doch von dessen Kunst-Idee sichtbar beeinflusst? Nun, das kann nur Jonathan Meese sein. Jetzt aber los, es ist Montagmittag, am Mittwoch muss pünktlich zu Warhols 80. Geburtstag die Suppendose in der Zeitung sein, also brauchen wir die Zeichnung am Dienstag.
Anruf bei Meeses Galerist Bruno Brunnet: Kann Meese uns bitte sofort eine Suppendose malen? Brunnet, ein Mann für schnelle Entscheidungen und kurze, effiziente Telefonate, sagt, Meese sei gerade noch im Harz, käme aber am Abend zurück nach Berlin. Eine Suppendose zum Warhol-Geburtstag? Brunnet lacht, das ist bei ihm immer ein gutes Zeichen. Drei Stunden später, Rückruf Brunnet: »Er macht’s.« Bis morgen Mittag? Kein Problem.
Das Schöne und gleichzeitig Blöde am Zeitungmachen ist: Man will immer noch mehr, mehr Informationen, mehr Antworten, mehr Fotos, mehr Zeit – mehr, von allem bitte mehr. Für die Geschichte, für die Zeitung, für den Leser. Dadurch kommt man täglich in die etwas unangenehme Lage, Menschen auf die Nerven zu gehen. Wenn Meese uns schon eine Suppendose malt, dürfen wir dann bitte auch beim Malen dabei sein? Zugucken, Fragen stellen, Fotos machen? Das ist die Aufgabe des Journalisten, und Aufgabe des Galeristen ist es, seinen Künstler zu beschützen. Wir dürfen also beim Malen nicht dabei sein. Versteht man sofort, ist natürlich trotzdem schade.
Dienstagvormittag, Treffpunkt Galerie Contemporary Fine Arts. Brunnet wedelt mit zwei Blättern, verkündet: »Jonathan hat geliefert!« Natürlich hat Meese gleich zwei Suppendosen gemalt, einen Tag mehr, zack, wären es wahrscheinlich 20 geworden, mindestens. Immer gleich in Serien denken und arbeiten, mehr ist besser als wenig – diese Auffassung vertrat Warhol, er revolutionierte damit den
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