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Auch Deutsche unter den Opfern

Auch Deutsche unter den Opfern

Titel: Auch Deutsche unter den Opfern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benjamin Stuckrad-Barre
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Funktionäre statt 20 Millionen potentieller Wähler. Das wie all ihre härtesten Nervensägen (Schreiner!) treue Mitglied Güllner hat seiner Partei schon 1970 anhandeiner Mitgliederstudie in Dortmund beizubringen versucht, dass man zu unterscheiden hat zwischen Funktionären, Mitgliedern und Wählern. Das aber verstehe die SPD noch heute nicht – und belästige die Öffentlichkeit permanent mit vereinsinternen Angelegenheiten. Man stelle sich bitte mal einen Karnickelzüchterverein vor, der dauernd Probleme mit dem Vorstand und der Satzung veröffentlichte. Das interessiere doch außerhalb des Vereins – wenn man so will: »im Land«, »bei den Menschen« – niemanden.
    Auf dem Heimweg schwirrt einem der Kopf, so viel Deutschland hat man da gehört beim Professor. Würde man wählen? Und wenn: wen? Man muss jetzt vom Konjunktiv wieder in den Indikativ wechseln. Und spricht Gregor Gysi oder wer immer mal wieder von »den Menschen«, wird man künftig kontern: Nicht alle Kellner in der Schweiz haben rote Haare.

[ Inhalt ]
    Fashion Week
    Als ich heute Morgen vor meinem Kleiderschrank stand, bekam ich einen Lachanfall. Jetzt, zwei Stunden später, sitze ich am Schreibtisch, habe eine weiße Cordhose an, ein schwarz-weiß gestreiftes Hemd und – zum ersten Mal in meinem Leben – Hosenträger. Schwarze Hosenträger. In der S-Bahn hat niemand was dagegen gesagt, aber ich fühle mich verkleidet, bin es auch, und Schuld ist die Berliner Modewoche, beziehungsweise: Schuld is the Berlin Fashion Week. Und das kam so:
    Am Mittwoch bekam ich eine SMS: »Herzlichen Glückwunsch zu Bronze, Mr. Stylo. Läuft grad über Agentur.« Ich rief die Absenderin sofort an, um mir diese Rätsel-Botschaft entschlüsseln zu lassen, und erfuhr, dass ich von einer Modeexperten-Jury, zu der immerhin Karl Lagerfeld und Eva Padberg gehörten, zum drittbestangezogenen Mann des Jahres gewählt wurde. Bronze beim »Best Dress-Award« der Zeitschrift »Vanity Fair«! Nun gibt es sicherlich bedeutendere Auszeichnungen, ein Anruf aus Stockholm etwa hätte mich gewiss mehr gefreut: Hello, this is Viktualia Rullgardina Krusmynta Efraimsdotter, uns vom Nobelpreiskomitee gefallen Ihre Texte immer so sehr – hätten Sie Zeit und Platz auf dem Konto, wir haben hier was für Sie.
    Aber als mit Preisen bislang nicht gerade Überhäufter freut man sich auch über kleinere Ehrungen. Abends besuchte ich das R. E. M.-Konzert in der Waldbühne. Weil es kalt war und regnete, zog ich mich eher an wie ein Viert- oder Fünftplatzierter. Ohnehin gelten R. E. M.-Konzerte nicht gerade als Treffpunkt Modebewusster. Doch Sänger Michael Stipe brachte dann zwischen zwei Liedern das Thema zur Sprache, das momentan bestimmte geistige Regionen Berlins beherrscht: Kleidung. Stipe sagte, er habe sich wetterbedingt Turnschuhe angezogen, und das erschiene ihm für einen Gentleman seines Alters nun doch unpassend.Er ließ sich feinere schwarze Schuhe bringen, wechselte sogar die Socken, alles mitten auf der Bühne. Kreischende 40-Jährige in der ersten Reihe schienen unbedingt Stipes ausgezogene Stinkesocken geschenkt haben zu wollen, aber Stipe weiß, was sich gehört, und warf lieber eine Mundharmonika ins Publikum. Am T-Shirt-Stand überlegte ich nach dem Konzert lange, welches R. E. M.-Leibchen dem drittbestangezogenen Mann des Jahres wohl stehen würde. Sobald man anfängt, über Kleidung nachzudenken, hat man schon verloren – das ist wie mit Schlafwandlern, die über ein Seil balancieren und nur herunterfallen, wenn jemand sie aus Versehen weckt.
    Am Donnerstag ging ich dann zu einer Modenschau der Firma Hugo Boss. Modewoche in Berlin, das musst du dir als Stadt-Reporter angucken, sagte ich morgens dem drittbestangezogenen Mann des Jahres, als ich ihn im Badezimmerspiegel sah. Weil ich gute Laune hatte, zog ich mir einen weißen Anzug an. Die Wahrheit ist, dass ich mich für Mode nicht interessiere. Ich finde, auf Laufstegen sieht eigentlich alles toll aus, weil eben Models in der Regel ja nicht hässlich sind. Und ich selbst ziehe meistens das an, was im Schrank gerade oben liegt oder vorne hängt. Aber man kann natürlich wahnsinnig viel über Mode sprechen, lernte ich anschließend. Die Sonne schien, und die Mode-Profis standen herum, aßen elegante Sachen von kleinen Tellern, sprachen über die gerade gesehene Kollektion fürs nächste Frühjahr und ließen die Gläser klingen. Ich möchte nicht behaupten, dass man besoffen sein muss, um dieses Mode-Gerede zu

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