Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Auch Deutsche unter den Opfern

Auch Deutsche unter den Opfern

Titel: Auch Deutsche unter den Opfern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benjamin Stuckrad-Barre
Vom Netzwerk:
Kunstmarkt, und nachgeborene Künstler wie Jonathan Meese greifen dieses Prinzip freudestrahlend auf: viel Kunst = gute Kunst. Kunst kann es überhaupt nie genug geben. Es sind, obzwar Suppendosen, klassische Meeses geworden, roter und schwarzer Edding, die vertrauten Symbole und Schlagwörter, die er immer wieder, immer anders verwendet und kombiniert. Brunnet hat nicht viel Zeit, anders gesagt: Er weiß sofort, wie es jetzt weitergeht. »Die hier ist besser«, sagt er, nimmt eine der beiden Suppendosen-Zeichnungen und freut sich jetzt schon auf die Doppelseite in der Zeitung. Auf Zeitungspapier, x-tausendfach vervielfältigt, das ist natürlich sehr Warhol – und auch sehr Meese. »Komm, wir schenken das euern Lesern, verlost doch das Original. Wir lassen das noch schön rahmen, und dann muss eine Quizfrage beantwortet werden – wie wär’s denn damit: Wie hieß das Studio, in dem Warhol gearbeitet hat und arbeiten hat lassen?«
    Da steht man nun vor Brunnet, doppelt baff, erstens, weil er, der täglich Meese-Bilder für viele Tausend Euro verkauft, dieses nungroßzügig verschenkt, und zweitens, weil er die ganze Verfahrensweise, inklusive Quizfrage, einfach so, ohne groß zu überlegen (wieder: sehr Warhol, sehr Meese), rausgerattert hat. Und was macht der Journalist? Sagt der Tausend Dank – und trollt sich? Nein, der will natürlich wie immer noch mehr, diese Nervensäge. Jetzt soll Meese bitte noch was zu Warhol sagen. Brunnet ruft also in Meeses Atelier an, reicht dann den Hörer rüber. Meese am Telefon ist wie Meese auf der Leinwand, wie Meese bei einer seiner Performances: Er haut Wörter raus, freut sich, und man muss sofort lachen und mitwörtern, es geht hin und her, ist aber kein Gespräch im eigentlichen Sinne. Er gibt scheinbar alles, und entzieht sich genau dadurch komplett. Auch hier wieder: sehr Warhol. Einen öden Künstler könnte man jetzt öde fragen: Wie war es im Harz – und was bedeutet Ihnen Andy Warhol? Aber Meese ruft einfach ein paar Wörter, lacht, ruft noch ein paar Wörter. Zweifellos ist dies kein Telefonat, dies ist eine Performance. Zum Abschied sagt er, dass er gleich noch ein Fax schicke, da stehe dann alles drin. Alles über Warhol. Haha, natürlich, alles.
    Ein paar Minuten später kommen viele Seiten aus dem Fax geschnurrt, in seiner berühmten Kinderkrakelschrift hat Meese mal kurz etwa 150 Warhol-Definitionen aufs Papier geknallt, die natürlich selbst schon wieder Kunst sind, man möchte diese Fax-Blätter sofort einrahmen und an die Wand hängen. Ein guter Künstler spricht eben nur durch seine Kunst und lässt den Betrachter mit der Deutung allein.
    Andy Warhol also ist, laut Meeses Fax:
    – TOTALPROPAGANDA der DIKTATUR der Kunst
    – Totales Spielgeld
    – CHEFSACHE (also NOMADADDY)
    – DR. NO’S BRUDER Löwenherz
    – Totalneutralität
    – das 1. Revolutionsbaby de Large, wie Alex
    – die Nr. 1 des Erzmetabolismus, also DR. STOFFTIER
    – 1. STAATSKUNST
    – die 1. süßeste Suppenpuppe »HOTHOTHOT«
    – die 1. Raketenabschussbasis der DIKTATUR der Kunst
    – Industrie der Natur, also Mutter Meese
    Und immer so weiter. Man muss sich da durcharbeiten, selbst entscheiden, womit man was anfangen kann. Und dann findet man in jedem Meese-Werk diese eine Beiläufigkeit, die alles erstrahlen lässt, und das ist in diesem langen Fax dieser eine Meese-Satz über Warhol, den wohl auch Warhol genauso gesagt hätte, wenn er ihm eingefallen wäre, dieser eine Satz, der Titel jeder Doktorarbeit über Warhol sein könnte:
    – Andy Warhol ist kein Problem.
    Ein paar Stunden später meldet seine Assistentin, Meese habe sich inzwischen hingelegt und aus dem Bett lasse er noch dies und das ausrichten, und so nimmt die Sache kein Ende – aber mehrere Andys.

[ Inhalt ]
    Die SPD am Schwielowsee
    Um Punkt zwölf Uhr mittags lassen sich Wowereit, Platzeck und Bullerjahn ein Mittagsbierchen servieren. Sie sitzen auf der Terrasse des »Ressort Schwielowsee«, haben den See im Blick, drei Plüsch-Teddybären (Willkommensgeschenk des Hauses) vor sich auf dem Tisch, und nun diese drei Gläser Bier. Die Herren haben gute Laune: »Wir machen hier Aufbau Ost«, scherzt Wowereit. So ein Mittagsbierchen im Dienst ist ein starkes Signal an den eigenen Körper und an die Umgebung, es kann zweierlei bedeuten: Feierlaune – oder Fatalismus.
    Die Sitzung der SPD-Führung hätte eigentlich vor einer Stunde beginnen sollen, aber es kommt alles ganz anders als geplant an diesem Tag. Am Abend

Weitere Kostenlose Bücher