Auch Deutsche unter den Opfern
Herz schlägt links« aus dem Gedächtnis nennen (»Seite 83«), auf der steht: »… Forsa stellte sich in den Dienst dieser Kampagne und veröffentlichte wöchentlich hohe Sympathiewerte für Gerhard Schröder und schlechte für mich.« Schröders bester Mann, ja ja, schon gut. Zu Schröders goldenen Zeiten warf die Union Güllner vor,die Beliebtheitswerte seines Kumpels Gerhard zu frisieren, seit aber die SPD bei Forsa immer so besonders kläglich dasteht und Güllner dies auch noch gern pointiert interpretiert (»Beck muss weg«), schweigt die Union und mosert die SPD. Kurt Beck sprach von Kaffeesatzleserei, von »Herrn Güllner mit seiner Glaskugel«, Andrea Ypsilanti warnte, Forsa-Ergebnisse seien »bekanntlich mit Vorsicht zu genießen«, Klaus Staeck bezeichnete Güllner als »Zahlenjongleur« und zieh ihn der »Meinungsmache statt Meinungsforschung«. Ludwig Stiegler gab gar eine Kostprobe sozialdemokratischen Humors: »Wir lassen uns Kurt Beck nicht forsauen.« Jetzt, nach Beck, steigen die SPD-Werte wieder, auch bei Forsa, und die Zahlen der verschiedenen Institute liegen gegenwärtig nicht mehr signifikant auseinander. Müntefering wird Vorsitzender, Steinmeier ist Kanzlerkandidat – sind das Voraussetzungen für bessere SPD-Zahlen? Güllner, der Empiriker: »Wie 63 % der Deutschen sehe ich das so, ja.«
Er mache Politik mit seinen Zahlen, sagt die SPD. Bedeutet der aktuelle SPD-Zugewinn in den Forsa-Zahlen, dass Güllner seine Freude über Becks Abgang oder gar über Schröders indirektes Comeback hat einfließen lassen? Güllner, der Zahlenmensch, zeigt emotionslos auf seine telefonierenden Mitarbeiter: Blödsinn. Man dürfe nicht Stimmen und Stimmungen verwechseln, wie jedes Meinungsforschungsinstitut könne auch Forsa nicht die Realität messen, bloß Indikatoren. Die Hälfte der Befragten wisse schließlich noch gar nicht, ob, und wenn ja: wen sie wählen wolle. Womit man bei einem Lieblingsthema Güllners ist, nämlich der Differenz zwischen Wahlberechtigten und tatsächlichen Wählern. Am Ende stehen da immer 100 %, ja, aber das ist eben nur die Summe der abgegebenen gültigen Stimmen. Besonders amüsiert ist Güllner über Andrea Ypsilantis feste Überzeugung, sie habe »einen klaren Wählerauftrag« – bei Zuspruch von nichtmal einem Viertel aller Wahlberechtigten.
Und wieder hinein in die Meinungen – jedes Sauerstoffmolekül in diesem Raum scheint ein Wort zu transportieren, das Ohr des Besuchers versucht, sich ranzuzoomen, in eins der Telefonate einzufädeln:
Wie zufrieden sind Sie mit der Arbeit der Bundesregierung? Gar nicht, okay.
Wie zufrieden sind Sie mit der Arbeit der Bundeskanzlerin? Sehr, aha.
Ein paar Schritte weiter, da geht es gerade um Fußball. Auch interessant. Oder: Lesen Sie Horoskope? Sind Sie gegen Grippe geimpft? Wie oft pro Woche essen Sie Tiefkühlgerichte? Satzfetzentrunken in dieser Symphonie der Alltagsfragen stehend, bekommt das Wort Sonntagsfrage plötzlich einen neuen Klang, rückt in die Bedeutungsnähe von »Sonntagsfahrer«.
Im Science-Fiction-Film würde der Professor einen nun beruhigen oder beunruhigen, je nachdem, aber man würde jetzt mit ihm sprechen. Wo ist denn überhaupt der Professor, ist der noch da, Hilfe! Ja, da steht er. Herr Professor Güllner, eigentlich wollten wir doch über die Politik sprechen, über die SPD im Speziellen, ob der Aufschwung jetzt bei Steinmeier ankommt, gewissermaßen. War Kurt Beck wirklich das Problem? Je mehr Beck agierte, sagt Güllner, desto mehr sanken die Werte der Partei. Hier, wo Volkes Stimmen sprechen und Volkes Stimmung erfasst wird, bietet es sich an, über den SPD-Slogan »Nah bei den Menschen« zu reden. Güllner blickt etwas spöttisch, als er nun an Becks lang durchgehaltene Verteidigungsargumentation erinnert, die er den stetig sinkenden SPD-Zahlen entgegenhielt: »Wenn ich in Rheinland-Pfalz unterwegs bin, bekomme ich viel Zuspruch von den Leuten.« Die Leute? Güllner lacht, hebt die Hände, guckt ins Neonlicht – die Leute! Empirische Sozialforschung geht anders, er hat es doch studiert und im ersten Semester schon von René König gelernt: Wenn einer dreimal in die Schweiz gefahren ist und dort im Café war, und diese drei Male ist er von einem rothaarigen Kellner bedient worden – dann darf er daraus nicht schließen, alle Schweizer Kellner hätten rote Haare. So in etwa aber sei Beck vorgegangen. Auch indem er von »der Basis« sprach, wenn er bloß den Hamburger Parteitag meinte, also 400
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