Auch Deutsche unter den Opfern
ertragen, aber die Mode-Leute trinken ganz gern schon mittags was. Ich verabschiedete mich bald und sagte, Leute, es mag verrückt klingen, aber ich gehe jetzt arbeiten. Mitleidiges Nicken war die Ernte dieser meiner Worte.
Am Kiosk kaufte ich dann die neue Ausgabe der »Vanity Fair«, um mal zu gucken, wer auf die Plätze zwei und eins gewählt worden war. Bestgekleideter Mann des Jahres: Schauspieler Clemens Schick, ein sehr netter, immer gut aussehender Typ, gegen den zu verlieren keine Schande ist, sondern der Normalfall. Zwischen Schick und mir auf Platz zwei:Wolfgang Joop. Und wenn ich zu dessen Kleidung als Mode-Amateur mal was sagen darf: Schöner geht es ja wohl nicht. Seit einiger Zeit ist er immer besonders bunt und auf den ersten Blick durchgedreht gekleidet. Schaut man genauer hin, wird klar: perfekt. Das Leben möchte ich führen, dass mir so was steht, denke ich immer, wenn ich Joop sehe. Von mir ist in der Zeitschrift ein Foto abgebildet, das bei einer Preisverleihung im Mai 2007 gemacht wurde; dort ging es um Texte, und ich wurde ebenfalls Dritter – allerdings von, äh, dreien. Also Letzter. Mein Chefredakteur Walter Mayer hat mir allerdings in seiner unendlichen Weisheit erklärt, Dritter ist besser als Zweiter. Wenn man mit ein bisschen gutem Willen darüber nachdenkt, leuchtet es einem ein. Eine weitere große Mayer-Weisheit: Modewoche ist wie Berlinale. Ja, genau! Ein paar Tage lang ist die Stadt ganz aufgeregt, weil ein paar »internationale Stars« mehr als sonst hier sind, und überall wird im Namen des Kinos oder eben der Mode gesprochen, gegessen, gesoffen, getanzt und fotografiert.
Freitagmittag ging ich dann zur Preisverleihung. Für den Dritten gab es weder Trophäe noch Urkunde, aber einen elf Stunden bei 69 °C gegarten Kalbskamm. Neben mir saß Eva Padberg und sagte den schönen Satz: »Ich komme aus Thüringen, da isst man dauernd Fleisch.« Jenny Elvers-Elbertzhagen verzichtete auf den Kalbskamm, weil sie, wie sie sagte, abends noch in irgendein besonderes Kleid passen wollte. Eine ältere Dame, deren Frisur, Schmuck und Kleidung ihr den Gesamteindruck eines, Verzeihung, explodierten Antiquitätengeschäfts verliehen, erklärte mir, dass Angela Merkels Jacken zu kurz seien und ihr Schmuck zu kunstgewerblich. Außer mir begannen alle Anwesenden wieder zur Mittagszeit mit dem Abendprogramm, Prosit allerseits. Ich musste zurück an den Schreibtisch und bekam am Ausgang eine Geschenktüte, in der ich nebst einer Tafel Schokolade (»entwickelt von Tim Raue, Koch des Jahres 2007«), einem Billigschlips und einem Piccolo die schwarzen Hosenträger fand.
Vor der Michalsky-Modenschau am Abend hatte ich noch gedacht, ich habe die Modewoche jetzt kapiert. Wenn man zu einer Modenschaugeht, zieht man sich selbst an nach Maßgabe dessen, was man gerade so als »modern« empfindet, auch wenn das so ist, als ob man seine Wohnung reinigt, bevor die Putzfrau kommt. Wenn man eine Berliner Schauspielerin ist, macht man sich mittels Kleidung ein bisschen hässlicher als man sein könnte, damit alle denken, man sei hübscher als man ist. Oder doch zumindest: interessant! Ansonsten: Küsschen rechts, Küsschen links, hast du schon gehört, hast du nicht gesehen, hast du die Nummer von Soundso, bist du morgen auch im Daundda, guck mal, da drüben ist – wie sieht der denn heute aus?
Doch dann lief ein Männermodel mit »Atomkraft? Nein Danke«-T-Shirt über den Laufsteg. Als dieses Shirt entworfen wurde, war der Slogan bloß ein alter Spruch, ein ironisches Zitat. Aber neuerdings ist das ja wieder eine hochpolitische Aussage, und ich hoffe, ich tue Michalsky nicht unrecht, wenn ich behaupte, dass dies weder seine Absicht war noch sein Spezialgebiet ist.
Wenigstens die Musik war unmissverständlich, DJ Hell hatte sie zuverlässig grandios zusammengestellt, und als ich ihn hinterher fragte, von wem denn dieses eine Lied da zum Schluss gewesen war, kam er schnell zur Sache: Warum er denn bitte nur viertbestangezogener Mann des Jahres geworden sei in dieser »Vanity Fair«-Liste, und ob ich eine Idee hätte, wie wir uns da im nächsten Jahr noch weiter nach oben kämpfen könnten. Ich zeigte zur Tanzfläche, wo Clemens Schick stand, die Nummer eins. Der sah wieder mal hervorragend aus, an diesem Abend mit Hosenträgern überm Hemd – vielleicht ginge es so? DJ Hell war skeptisch.
Und heute Morgen holte ich dann die Hosenträger aus der Tüte und hängte mich da so gut es ging rein, wie ein Esel ins
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