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Auch Deutsche unter den Opfern

Auch Deutsche unter den Opfern

Titel: Auch Deutsche unter den Opfern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benjamin Stuckrad-Barre
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Lebensgefährte Michael Mronz, und den begleitet er. Ganz Aachen trägt heute Hut, der sogenannte Printenkönig Lambertz hält Hof, und man kann eigentlich nur lachen. Nach wunderbar egalen Lokalfernsehinterviews (»Ich war sehr begeistert von den Vierspännern«) entledigt sich Westerwelle früh seiner Krawatte, die Fotos mit Mronz, Genscher, Marie-Luise Marjan, Ralf Schumacher, Franziska van Almsick und all den anderen sind gemacht, jetzt raucht er eine Zigarre und wirkt entspannt. In einer Ecke sitzen Paul Schockemöhle und Stefan Aust – und reden tatsächlich über Pferde! Kurze Zwischenfrage: Was hält denn der ehemalige »Spiegel«-Chefredakteur eigentlich von Guido Westerwelle? Eine Menge: Zunächst mal sei er ein brillanter Redner, mit Gysi zurzeit der beste im Bundestag; außerdem stehe er der momentan einzigen nicht sozialdemokratisch agierenden Partei vor, und inmitten all der Subventionsorgien sei eine so klar marktwirtschaftliche Position doch wohltuend. Und wie erklärt Aust die chronifizierte Guido-Häme? Och, sagt Aust und nimmt einen Schluck Bier, das wisse mandoch, die meisten Politik-Journalisten in Deutschland seien halt beleidigte Sozialdemokraten.
    Tags drauf, beim Deutschen Bauerntag in Stuttgart: Müntefering und die Kanzlerin sind schon da, aber der wahre Stargast ist nun mal der, der es sich erlauben kann, zu spät zu kommen und sogar die Kanzlerin warten zu lassen – Westerwelles Stuhl ist noch leer. Auch der Vorsitzende der FDP werde gleich hier sein, hebt die Kanzlerin an: »So, jetzt ist’s genug Schleichwerbung für die FDP, jetzt fangen wir mal an.« Und kaum hat sie mit ihrer Rede begonnen, da erscheint Westerwelle. Merkel, leicht indigniert: »Jetzt ist es geschafft.« Nach ihrer nicht gerade fesselnden Rede muss sie direkt wieder los, und Westerwelle räumt ab:
    »Die Sendung ›Bauer sucht Frau‹ fand ich zwar nicht so gut – aber hier eben: ›Frau sucht Bauer‹, das war schon eindrucksvoll.«
    Merkel ist ja schon weg, da kann er das ruhig so bringen. Und er hat auch wieder Papiere als Requisiten dabei, zwei achtzigseitige Packen Bürokratie: die »Biomassestrom-Nachhaltigkeitsverordnung«. Westerwelle – gestern bei Edeka oberster Einzelhändler, hier heute großer Bauernversteher – triumphiert: »Der Bauer, der das wirklich liest, der lässt aber seine Schweine verhungern!«
    Im Auto zum Flughafen eine kurze Manöverkritik mit dem Referenten: War gut, oder? Westerwelle: »Ja, aber sie, habt ihr sie gehört – als ob sie nicht regiert hätte! Wahnsinn.«
    Später, zurück in Berlin, ruft Merkels Büro an, und Westerwelle wird zur Kanzlerin durchgestellt: »Grüße dich!« Sehr vertrauter, fast zärtlicher Ton jetzt. »Danke für den Hinweis«, sagt er, nachdem er ihr zugehört hat, und: »Mach ich sofort.«
    Schon komisch, denkt man, aber so geht wohl Politik. Morgen wird sie ihre Regierungserklärung vortragen, dann wird Westerwelle sie attackieren, wofür sie sich mit Unaufmerksamkeit rächen wird, bisschen mit Steinmeier flüstern und so.
    Die kleine Chartermaschine musste gewitterbedingt vor der Landung ein paar Schleifen fliegen, und in Berlin steht Westerwelles Limousine nunim Stau – der Zeitplan (»Im Augenblick ist alles so getaktet: zack zack zack!«) fällt in sich zusammen, das »Wahl-Hearing des Deutschen Olympischen Sportbunds« wird ohne ihn beginnen müssen. Es warten: Johannes B. Kerner, die Minister Zypries und Schäuble, der Fraktionsvorsitzende Gysi und die Parteivorsitzende Roth. Alle warten auf Guido Westerwelle.
    Nun, im kriechenden Stau, wo jede Hektik lächerlich wäre, wird er ganz ruhig: »Dann ist das eben so, wir können es nicht ändern.« Man hat das Gefühl, jetzt endlich mal normal mit ihm sprechen zu können. Zu Michael Jacksons Tod hat er sich bislang nicht öffentlich geäußert, oder? »Ich fand das nicht notwendig«, sagt er mit gespieltem Ernst – und muss dann doch grinsen. »Nicht notwendig«, ja, so kann man das sagen. Ist doch komisch, wie identisches Verhalten je unterschiedlich bewertet wird: Minister Guttenberg hat sich zu Jacksons Tod geäußert, und niemand hatte was dagegen einzuwenden. Hätte Westerwelle hingegen – »Hm, ja«, sagt Westerwelle. Und dann, richtig lustig: »Na, nicht dass dem Guttenberg jetzt ein Spaßwahlkampf angehängt wird.« Hätte sich der frühe Westerwelle, sagen wir, der vor sieben Jahren, nicht sehr wohl zum Tode Jacksons geäußert? Westerwelle hochsouverän: »Noch in derselben

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