Auch Deutsche unter den Opfern
der »Bild«-Zeitung, um wunschgemäß deren »Steuer-Schwur«-Formular zu paraphieren: »Weil es mit der Abkassiererei der ganz normalen Bürger ein Ende haben muss. Das ist unser Wort, das gilt.« Schwungvoll unterschrieb Westerwelle also dieses Versprechen und behielt seinen Montblanc-Kugelschreiber noch so lange im Anschlag, bis auch der Fotograf zufrieden war. Dass die ebenfalls zur Schwursignatur aufgeforderten Merkel und Seehofer die Unterschrift verweigerten, führt anderntags zu einer massenwirksamen Illustration des aktuellen Westerwelle-Schlachtrufs »Bei uns weiß man, woran man ist«.
Nach Schwur und Mittagessen hielt er dann auf der Jahrestagung der Supermarktkette Edeka eine nicht eben zurückhaltend betitelte Rede: »Was Deutschland jetzt braucht!« Subtext: Wen Deutschland jetzt braucht – ihn. Alles passte, das Edeka-Logo hat dieselbe Farbkombination wie das seiner Partei, die Bühne war in blau-gelbes Licht getaucht – man wähnte sich auf einem FDP-Parteitag.
Gegenüber Mittelstandsvertretern gefällt sich Westerwelle in der Rolle des solitären Heilsbringers und wird entsprechend gefeiert; er nennt das »Milieurückgewinnung und -erweiterung«, und das klingt so: Bei dengroßen Firmen hilft der Bundesadler, bei den kleinen und mittleren Betrieben kommt nur der Pleitegeier; wer arbeitet, muss mehr haben als der, der nicht arbeitet; Leistung muss sich wieder – und so weiter. Er spricht frei, klar und unterhaltsam, bringt ein paar gute Gags, und geschickt dosiert er ironisch intonierte Großmäuligkeit und pointierte Analyse. Die Filialleiter und Mitarbeiter der Supermarktkette sind begeistert, macht doch gute Laune, der Mann, der will was verändern, der will uns unterstützen, der hat den Durchblick.
Vielleicht erlebt Westerwelle momentan die schönste Phase seiner Karriere. Nicht in Regierungsverantwortung, kann er, mit dem Rückenwind nie erlebter Popularitätswerte, endlich mal die ganz großen Reden schwingen, ohne belächelt zu werden. Sein mediales Vorstrafenregister ist umfangreich, das weiß er, und so fügt er bei aller guten Laune auffällig oft an: »Das ist mein voller Ernst.« Manchmal muss er das wohl noch dazusagen. Sogar seine kaum bestreitbare Verhaltensänderung nach Spaß- und anschließendem Möllemann-Desaster wird häufig nur als weiterer Beleg seines Luftikustums gewertet – und sagt nicht sein Vorname schon alles? Wie man den spöttisch ausspricht, haben Joschka Fischer und Harald Schmidt für alle Zeiten gelehrt: Gu-iiii-do.
Auch das Land Niedersachsen gibt an diesem Abend ein Sommerfest, und während dort nach der Begrüßung durch Ministerpräsident Wulff ein Kinderchor »Die Gedanken sind frei« singt, ist Westerwelle noch, natürlich, in einer hochwichtigen Besprechung. Kurz wird er dann vorbeischauen, immerhin sitzt die FDP in der Landesregierung, der junge Minister Rösler, diese wie ausgedacht wirkende Personifikation gelungener Integration und Nachwuchsförderung, wartet am Eingang des Landesvertretungsgartens auf seinen Parteivorsitzenden. Der kommt dann, hat es – das ist einfach sein Trick momentan – eilig, harren doch ZDF-Sommersause und diese Fernsehsendung noch seiner; gemeinsam essen Westerwelle und Rösler ein gegrilltes Hähnchen, Christian Wulff stellt sich dazu – schöne Fotos werden das. Jürgen Trittin schleicht vorbei, Westerwelle hebt entschuldigend seine hähnchenfettigen Finger, alsodiese Hände könne er ihm leider nicht geben. Man versteht sich parteiübergreifend gut. Claudia Roth, ein Sommerfest weiter, umarmt Westerwelle gar und überschüttet ihn mit Herzlichkeit: »Deinen Mann, den find ich so toll!«
Westerwelle: »Ja, aber den kriegst du nicht.«
Da biegt und schüttelt sie sich vor Freude: »Das weiß ich doch!«
Wer nicht täglich dieses Berliner Durcheinander erlebt, mag sich wundern, wie empört und verächtlich beispielsweise Claudia Roth in Bundestag oder anderen Talkshows über »Herrn Westerwelle« spricht und wie duzend und überschwänglich sie ihm dann im Schwebebereich eines halbprivaten Abendgemenges begegnet. Westerwelle sagt, durch derlei anständigen Umgang miteinander bewahre man die Gesprächsbereitschaft. Trotz aller Meinungsverschiedenheiten immer mal ein Bier zusammen trinken zu können – das sei »der Kick der Demokratie«.
Am folgenden Abend in Aachen erlebt man einen anderen Guido Westerwelle: Das »Weltfest des Pferdesports« ist eröffnet, einer der Mitorganisatoren ist Westerwelles
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