Auch Deutsche unter den Opfern
das kein Zukunftssymbol ist, was dann? – einem Richtfest. Das nächste Kompetenzzentrum, der nächste Uli, auch er ein Duzfreund Steinmeiers: Ulrich Bettermanns »Metall-Kompetenzzentrum« feiert eine neue Produktionshalle, »eine der größten Baustellen in NRW, und das mitten in der Wirtschaftskrise«. Vielleicht ist es ein durchaus gewollter Effekt, dass die mitreisenden Journalisten bei jedem Firmenbesuch rätseln, was genau eigentlich dort hergestellt wird – wenn nämlich eine Schar nicht durchweg dummer Menschen so etwas auch nach Betriebsführung und Broschürenstudium nicht ganz begreift, kann es sich ja eigentlich nur um absolut visionäre Zukunftstechnologien handeln, also um »die Arbeitsplätze von morgen«. Alsdann wird Steinmeier und seinem Begleit-Tross vorgeführt, wie ein Verteilerkasten bei Blitzeinschlag explodiert, wenn man ihn nicht mit Superkompetenztechnologie schützt. »Also, wenn ’ne Sicherung durchknallt, das stellt man sich anders vor«, sagt Steinmeier beeindruckt und entdeckt dann im Ausstellungsraum, zwischen »Kabelrinnensystemen« und »Potentialausgleichssystemen«, eine Carrera-Bahn, die versteht jeder; ein herrlich auflockerndes Fotomotiv, Steinmeier posiert bereitwillig, möchte dabei natürlich den roten Flitzer über die Bahn rasen lassen, aber der macht nur einen kurzen Ruck und bleibt dann stehen – ein graues Modell, ausgerechnet, gehorcht dem Steuerungsgedrücke des Kandidaten, einmal saust der Wagen rundherum, dann fliegt er aus der Kurve.
Anschließend steigt Steinmeier in den Journalisten-Bus, und er würde nun wirklich gern mal zu seinem Deutschland-Plan befragt werden. Ulla Schmidt? Die schlechten Umfragewerte? »Ach, wissen Sie«, versucht Steinmeier weitere Hervorbringungen des inzwischen eigenen Genres »Wie die SPD zurück in die Opposition stolpert. Ein Live-Bericht« zu verhindern.
Die SPD hat beschlossen, dass sie jetzt »ein Thema gesetzt« hat, es ist ein Ausfallschritt aus der trüben Gegenwart in die Zukunft. Eigentlich jaeine gute Idee, doch um ein Feuer zu entfachen, müsste Steinmeier schon glühen, er verfügt aber über keine andere als die fürs Außenamt sehr gut geeignete Rhetorik: Die Rahmenfriständerung im Sozialversicherungsgesetz, die befristete Förderung der Altersteilzeit – und schon hat man ihn verloren. Irritiert durch eine Nachfrage meldet Steinmeier: »Äh, ich rede gerade über die Kreativwirtschaft. Und Sie?«
Gut, reden wir darüber. Man könnte ja denken, der angekündigte »Kreativ-Pakt«, das ist doch bestimmt das revolutionäre Manifest eines fiebrigen Netzwerks intellektueller Impulsgeber, die SPD als politische Heimstatt für wildes, vielleicht sogar utopisches Denken. Da war doch mal was! Da ist an diesem Abend: Der »Empfang für die Kreativwirtschaft« in Köln, Elke Heidenreich ist gekommen, die Kabarettisten Rogler und Pachl, außerdem ein Fernsehkomiker, dessen Name einem bestimmt gleich einfällt. Steinmeier spricht also vor diesem Publikum in einem Kölschgarten: Kultur ist gut, soviel ist mal sicher. Denn: »Was da an Werten geschöpft wird, entspricht schon heute denen der Chemieindustrie.« Merkwürdig, dass niemand lacht. Zweifellos ist »Altersversorgung Kulturschaffender« ein wichtiges Thema, aber kann sowas nicht in einem Ausschuss besprochen werden? Muss denn sogar die Kunst als vor allem bürokratische Herausforderung abgeheftet werden?
Andererseits: Steinmeier verkörpert das sogenannte politische Tagesgeschäft, und wer wollte ihm das zum Vorwurf machen? Er ist der Mann des Abwägens, des Wohlüberlegten, das wirkt sympathisch, berechenbar, ungefährlich – und ziemlich öde. Zum Glück gibt es solche Politiker, niemand will von lauter Brauseköpfen regiert werden. Begeistern, mitreißen, elektrisieren wird er nie, und Steinmeier behauptet ja keineswegs, solches zu können. In der momentanen Lage seiner Partei, als Herausforderer zumal, bedürfte es allerdings wohl dieser spezifischen »Kompetenz«.
Am Tag darauf gibt es neue, wiederum erschütternde Umfragezahlen, und am übernächsten Tag gleich wieder, aber das hatte Steinmeiers oberster Medienberater schon so prognostiziert, ohne jede Panik, es geheeben jetzt zunächst darum, die – da sind sie wieder – »Kompetenzwerte« zu steigern, der Rest komme dann schon noch. Man müsse jetzt bloß die Thesen und Ideen des Deutschland-Plans wiederwiederwiederholen, bis sich eine Assoziationskette allgemein einpräge, die im besten Fall nur zwei
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