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Auch ein Waschbär kann sich irren

Auch ein Waschbär kann sich irren

Titel: Auch ein Waschbär kann sich irren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Borell
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sollen«, sagte ich. »Aber nun ist’s einmal geschehen. Ist nicht doch noch etwas da? Sie können doch nicht seinen ganzen Schreibtisch zur Redaktion geschleppt haben?«
    »Ich habe alles hingebracht, was mir wichtig erschien.«
    »Lassen Sie mich bitte sehen, was noch da ist!«
    »Es ist nichts Wichtiges mehr da«, sagte sie mit verkniffenen Lippen.
    »Das können Sie doch gar nicht beurteilen, Miss Nicholas!«
    Ohne sie zu beachten, drang ich wieder in Bills Zimmer ein. Das erste, was ich sah, war ein Brief, der auf seinem Schreibtisch lag.
    Esther kam hinter mir her und nahm, ehe ich ihn zu fassen bekam, den Brief weg und verbarg ihn hinter ihrem Rücken.
    »Was soll denn das!« rief sie. »Sie können doch nicht einfach hier eindringen und so tun, als ob Sie hier zu Hause wären! Gehen Sie bitte sofort hinaus!«
    »Was für ein Brief ist das?«
    »Das geht Sie nichts an.«
    »Mich geht alles etwas an, was mit Bill zusammenhängt. Ist es ein Brief an Bill?«
    »Ja«, rief sie, »und deshalb geht er Sie nichts an.«
    Ich überlegte, ob ich ihr den Brief nicht einfach wegnehmen konnte, aber ich versuchte es noch einmal anders.
    »So hören Sie doch endlich auf«, schrie ich sie an, »sich so albern zu benehmen! Dieser Brief kann sehr wichtig sein, er kann die Lösung des Rätsels sein! Ich will ihn ja nicht behalten, aber zeigen Sie ihn mir wenigstens. Her damit!«
    Ich sah, wie sie versuchte, an mir vorbei zur Tür zu kommen. Wenn sie erst draußen war, dann würde ich den Brief niemals zu sehen bekommen.
    Ich packte sie überraschend an den Schultern, drehte sie herum und nahm ihr den Brief weg.
    »Holen Sie jetzt meinetwegen die Polizei«, knurrte ich, »oder machen Sie, was Sie wollen, aber ich will wissen, wer den Brief geschrieben hat und was drinsteht.«
    Ihre Energie schien jäh gebrochen zu sein. Sie sank auf den Drehstuhl vor Bills Schreibtisch und starrte vor sich hin.
    Der Brief trag den Poststempel von San Franzisko, und der Absender lautete:
    »Henry O. Barkley, Graphologisches Institut
    46, Market Street
    San Franzisko.«
    Er war an Bill Nicholas gerichtet.
    Ohne mich weiter um Esther zu kümmern, riß ich ihn auf. Es kamen drei Seiten, mit Schreibmaschine eng beschrieben, zum Vorschein. Ich begann zu lesen.

    »Sehr geehrter Mr. Nicholas!
    Anbei übersende ich Ihnen mein nach den modernsten wissenschaftlichen Methoden ausgearbeitetes graphologisches Gutachten über die Handschrift, die mir Mr. Vespucci von der >San Francisco Tribune< mit der Order übergab, mein Gutachten direkt an Sie zu schicken. Entschuldigen Sie bitte die Verzögerung, aber ich holte, um gewissenhaft urteilen zu können, noch den Rat eines Kollegen ein.
    Für meine Bemühungen berechne ich Ihnen das übliche Honorar für eine ausführliche Charakterdeutung in Höhe von 20 Dollar und bitte um baldmögliche Überweisung.
    Zu dem Gutachten selbst muß ich noch bemerken, daß es sich bei der fraglichen Dame um einen außergewöhnlichen Fall handelt, wie ich ihn in meiner langjährigen Praxis nur selten zu sehen bekomme. Ich habe mir daher erlaubt, den Brief, der mir für mein Gutachten als Unterlage diente, für mein Archiv hierzubehalten. Ich hoffe sehr, daß Sie auf diesen Brief verzichten können, da er mein Archiv außerordentlich bereichert. Sollten Sie damit jedoch nicht einverstanden sein, würde ich ihn selbstverständlich retournieren.
    Weiterhin gebe ich der Hoffnung Ausdruck, daß Sie mein Gutachten, das ich nach bestem Gewissen erstellt habe, berücksichtigen werden. Die Charaktereigenschaften dieser Dame sind tatsächlich so ungewöhnlich, daß ich Ihnen dringend von einer engeren Verbindung mit ihr abraten muß.
    Mit der Bitte, mein Institut in Ihrem Bekanntenkreis weiterzuempfehlen, verbleibe ich mit den besten Grüßen
    Ihr ergebener Henry O. Barkley.«

    Die Lektüre dieses Anschreibens hatte meine Neugier und Spannung beträchtlich gesteigert. Bill hatte also über eine Frau ein graphologisches Gutachten eingeholt! Und dieses Gutachten schien nicht sehr günstig ausgefallen zu sein.
    Esther saß noch immer regungslos am Schreibtisch. Es schien sie nicht mehr zu berühren, was ich tat. Ich rückte mir einen Stuhl zurecht, setzte mich und begann mich in das Gutachten selbst zu vertiefen.
    Die erste Seite sagte mir nicht viel; es war hier die Rede von übersteigerter Arkadenbildung, geknickten Unterlängen, mangelndem Bindungsvermögen und dergleichen mehr, wovon ich absolut nichts verstand. Dann aber kam die

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