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Auch ein Waschbär kann sich irren

Auch ein Waschbär kann sich irren

Titel: Auch ein Waschbär kann sich irren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Borell
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Überschrift:
    Praktische Auswertung.
    Dieser Abschnitt lautete folgendermaßen:
    »Aus dem oben Dargelegten läßt sich folgende Analyse der fraglichen Dame ableiten:
    Die Entwicklung der Schreiberin dürfte in früher Jugend durch ein mir unbekanntes, aber tief und entscheidend in das Seelenleben eingreifendes Ereignis eine grundlegende Änderung erfahren haben. Dieses Erlebnis, vermutlich noch in kindlichem Alter, hat ihr weiteres Leben bestimmt. Die geradezu krankhaft übersteigerte Eifersucht dieser Frau richtet sich nicht auf einen naturgemäßen männlichen Partner (siehe später), sondern wird von der Schreiberin in einen Machtkomplex allgemeiner Art verwandelt. Sie wird ihr Gefühl, herrschen zu müssen, selbst gegenüber einer besseren Einsicht nicht unterdrücken können. Gleichstark wie der Wunsch zu herrschen ist aber auch ihr Wunsch, >einem Herrscher zu gehorchen<, wodurch starke seelische Spannungen in ihr entstehen. Sie wird daher niemals in der Lage sein, sich einem Manne bedingungslos hinzugeben, was andererseits ihrer stark betonten Weiblichkeit entspräche. Auch hieraus entsteht in ihrem Charakter ein Bruch, der unkontrollierbare Spannungen zur Folge hat, die, verstärkt durch die obenerwähnten anderen Komplexe, zu Kurzschlußhandlungen führen können, die für die Umwelt unverständlich sein müssen.
    Die hohe, beinahe männlich ausgerichtete Intelligenz dieser Frau bringt es mit sich, daß sie sich selbst über ihren Zustand nicht hinwegtäuschen kann. Andererseits fehlt ihr die psychische Kraft, den nun einmal eingeschlagenen Weg zu verlassen. Gewisse Anzeichen deuten bereits jetzt schon auf zeitweise auftretende depressive Zustände hin, so daß man ohne allzu großes Risiko die Annahme aussprechen kann, die Schreiberin könne durchaus fähig sein, eines Tages Hand an sich selbst zu legen!
    Ehrlichkeit wird man bei ihr in den kleinen Dingen des täglichen Lebens durchaus voraussetzen können; keineswegs jedoch bei allem, was sie und ihre Gedankenwelt betrifft. Hier ist alles sozusagen ins Überdimensionale gesteigert.
    Wie schon erwähnt, ist es ein weiteres Merkmal dieses Charakterbildes, daß die Schreiberin einerseits ihrem stark ausgeprägten weiblichen Triebleben nachgeben möchte und das Bedürfnis hat, sich schutzsuchend einem Manne zu unterstellen, andererseits jedoch dazu in Wahrheit nicht in der Lage ist. Denkbar wäre jedoch, daß sie einem Manne ohne seelische Bindung hörig wird.
    Beruflich kann man dieser Frau große Aufgaben übertragen, doch bleibt immer die Frage offen, wie lange sie ihren Zustand psychisch erträgt. Gewisse Anzeichen scheinen darauf hinzudeuten, daß dies nicht mehr allzulange der Fall sein wird.
    Bei diesen meinen Ausführungen wäre noch ein weiterer Gedanke aufzugreifen, nämlich, ob sich die genannten Eigenschaften der Schreiberin nicht auf enge Verwandte beziehen könnten (Vater, Bruder, Sohn!). So könnte sich die Schreiberin, ihre Liebeserfüllung anderweitig suchend, wohl auch in einen nahen Verwandten >verlieben<, wobei sie ängstlich darauf bedacht sein wird, diesen >Partner< nicht an eine andere Frau zu verlieren, was man dann nicht ohne weiteres als Eifersucht bezeichnen dürfte.
    Zusammenfassend:
    Von einer ehelichen Verbindung mit der Schreiberin ist dringend abzuraten. Geschäftlich sollte man ihr nur bedingtes Vertrauen entgegenbringen.«
    Ich ließ den Brief sinken und blickte auf. Esthers Augen waren auf mich gerichtet, starr und ausdruckslos. Ich hatte plötzlich das beklemmende Gefühl, mit einer Schlange zusammen in einem Raume zu sein.
    Ich faltete den Brief zusammen und steckte ihn in meine Jackentasche.
    »Ein fachlicher Nachtrag«, sagte ich, so gleichgültig wie möglich, »zu einem Artikel über Handschriftenkunde, den Bill anscheinend geschrieben hat. Ich bin morgen früh ohnedies auf der Redaktion und werde ihn dann abgeben. Einverstanden?«
    Ich konnte nicht sehen, ob sie überhaupt hörte, was ich sprach. Ich überlegte angestrengt, wie ich sie dazu bringen könnte, daß sie mir irgend etwas aufschrieb. Ich brauchte unbedingt ihre Schrift!
    Mein Plan, morgen früh nach San Franzisko zu fliegen, stand fest, aber ich wollte ihre Schrift mitnehmen.
    »Bill ist nicht ermordet worden«, sagte sie plötzlich. »Er hat niemandem etwas zuleide getan.«
    »Sie haben vielleicht recht«, lenkte ich ein, um sie womöglich weiter zum Reden zu bringen. »Wahrscheinlich haben Sie recht, und ich glaube jetzt fast auch, daß ich mich geirrt

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