Auch Engel Moegens Heiss
eröffnet, dass sie ihr altes Haus ihm hinterlassen hatte. Praktisch unverzüglich hatte er beschlossen, von New York City nach Hillsboro zu ziehen; er war damals frisch geschieden und hatte, obwohl er innerhalb des New Yorker Polizeidepartments auf der Karriereleiter stetig weiter nach oben kletterte, den Stress und Ärger in seinem Job gründlich satt. Die Arbeit im Sondereinsatzkommando war zwar abwechslungsreich, doch die damit verbundenen Gefahren waren mit ein Grund für seine Scheidung gewesen. Nicht der entscheidende Grund, aber ein Grund unter mehreren. Und was diesen einen Grund anging, hatte seine Exfrau wahrscheinlich nicht ganz falsch gelegen; die Frau eines Polizisten zu sein, der dauernd dann gerufen wurde, wenn
die Lage besonders brenzlig wurde, erforderte Nerven wie Drahtseile. Außerdem war er inzwischen sechsunddreißig Jahre alt; mit einundzwanzig war er in Chicago zur Polizei gegangen und später nach New York gezogen. Es war Zeit für einen Wechsel, Zeit, sich nach einem weniger aufreibenden Job umzuschauen.
Er war ein paar Mal nach Hillsboro gefahren, hatte sich das alte viktorianische Haus angeschaut, eine Liste der anstehenden Reparaturen erstellt und gleichzeitig die Fühler nach einem neuen Job ausgestreckt. Ehe er sich’s versah, fand er sich in einem Vorstellungsgespräch für den Posten des Polizeichefs wieder, und danach war alles klar. Er reichte seine Kündigung ein - unter freundlichen Frotzeleien wegen seiner Beförderung zum Polizeichef eines Hinterwäldlerkuhdorfs -, packte sein Zeug zusammen und zog in Richtung Süden. Er verfügte hier über einen Stab von dreißig Mann, ein Witz, verglichen mit der Polizeieinheit, die er eben verlassen hatte. Aber Jack hatte das Gefühl, endlich seine Nische gefunden zu haben.
Na gut, es war nicht viel los hier, aber es gefiel ihm, die von ihm adoptierte Stadt zu beschützen. Verdammt, ihm gefielen sogar die Stadtratssitzungen; vor allem die letzte, als die Hälfte der Bevölkerung beinahe eine Revolution angezettelt hatte, nur weil der Stadtrat dafür gestimmt hatte, rund um den Stadtplatz Ampeln aufzustellen. Es war lächerlich, dass es in einem Ort von neuntausend Einwohnern nur eine einzige Ampel gab, aber wenn man die Leute hier reden hörte, hätte man meinen können, alle verfassungsmäßigen Rechte und sämtliche Menschenrechte dazu seien mit Füßen getreten worden. Wenn es nach Jack gegangen wäre, hätte man überall im Ortszentrum Ampeln aufgestellt und vor sämtlichen Schulen obendrein. Hillsboro hinkte seiner Zeit hinterher - er hatte keine Witze gemacht, als er von den Waltons gesprochen hatte. Der Verkehr nahm ständig zu, weil immer mehr Menschen in die malerische kleine Stadt zogen, und er wollte vermeiden, dass erst
ein Schulkind überfahren werden musste, ehe die Bürger aufwachten und beschlossen, dass sie möglicherweise doch mehr Ampeln brauchten.
Eva Fay Storie, seine Sekretärin, telefonierte gerade, als er in sein Büro trat, hob aber einen Finger, um ihn aufzuhalten, und reichte ihm dann eine Tasse Kaffee sowie einen Stapel von rosafarbenen Zetteln mit Kurznachrichten. »Danke«, sagte er und setzte Kaffee nippend den Weg in sein Büro fort. Er wusste nicht, wie Eva Fay das fertig brachte, aber immer, wenn er ins Büro trat, wartete eine Tasse mit heißem, frisch aufgebrühtem Kaffee auf ihn. Vielleicht hatte sie ja seinen Parkplatz verkabeln lassen, und unter ihrem Schreibtisch brummte ein Summer, sobald er seinen Wagen abstellte. Irgendwann würde er mal auf der Straße parken, um auszuprobieren, ob er sie nicht doch überraschen konnte. Er hatte Eva Fay von seinem Vorgänger übernommen, und sie waren beide zufrieden mit dem Status quo.
Ein Anruf stammte von einem Detective in Marshall County, mit dem er sich halbwegs angefreundet hatte, seit er nach Hillsboro gezogen war. Jack legte die übrigen Nachrichten beiseite und wählte die Nummer auf dem Zettel.
»Petersen?«
»Was gibt’s denn?« Jack wusste, dass er sich nicht mit Namen zu melden brauchte. Selbst wenn Petersens Telefon keine Anruferkennung hatte, würde sich Jack durch seinen Akzent verraten.
»Hallo, Jack. Pass auf, wir haben hier eine unidentifizierte Leiche, jung, weiblich, wahrscheinlich Mexikanerin. Ein paar Jugendliche haben sie gestern Abend gefunden.«
Jack lehnte sich zurück. In Hillsboro war niemand als vermisst gemeldet, auf den diese Beschreibung zutraf; es gab hier sowieso nicht viele Hispano-Amerikaner, und während der
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