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Auch Santiago hatte einen Hund

Auch Santiago hatte einen Hund

Titel: Auch Santiago hatte einen Hund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Lindenthal
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möchte. Heute bin ich gut vorangekommen, ich bin früh dran, umso besser. Nach einigem Suchen finde ich einen geeigneten Zeltplatz am rätselhafterweise völlig menschenleeren Ufer - wahrscheinlich ist das schlechte Wetter tagsüber schuld daran. Denn dass der See normalerweise von vielen Menschen heimgesucht wird, entnehme ich ihren zahlreichen und selten appetitlichen Spuren am Ufer. (An dieser Stelle ein Klagelied über das Tier Mensch anzustimmen erübrigt sich wohl.) Meinen Zeltplatz muss ich jedenfalls trotzdem erst einmal notdürftig (nein, so schlimm war es nicht!) vom ärgsten Dreck befreien, um ihn halbwegs bewohnbar zu machen. Aber dann habe ich es einfach fein. Pilgersuppe, Brot, Käse, Rotwein, der sich wie ein Spiegel vor mir ausbreitende See, die Abendstimmung, was will ich mehr? Solche Momente mit jemandem zu teilen wäre schön, aber die Einsamkeit ist mir keine Last, abgesehen davon, dass mir Ajiz eh immer fehlt. Im Übrigen leisten mir ein paar Gelsen Gesellschaft, was aber meiner guten Stimmung keinen Abbruch tut. Danke, Jakob, für diesen Tag!
     
    Die Entscheidung reift heran
     
    19 Jahre später, in Guadalajara, Mexico. Mein Sabbatjahr, eine Nachdenkpause, die ich mir verschrieben habe, um Bilanz zu ziehen und in aller Ruhe Perspektiven für meine berufliche Zukunft zu überlegen, geht zu Ende. Und in mir reift mehr und mehr der Gedanke heran: Es wird langsam Zeit für einen Hund! Ich bemerke , wie ich die Hunde von Freunden und Bekannten immer mehr ins Herz schließe und wie die Bereitschaft, Verantwortung für ein Lebewesen zu übernehmen, mit allen Konsequenzen, wächst. Denn eines ist klar: Das nomadische Leben, das ich bisher geführt habe und das mich von Stadt zu Stadt, von Land zu Land, sogar von Kontinent zu Kontinent geführt hat, birgt nicht gerade die örtliche und emotionale Stabilität, die ein Hund braucht, vor allem in seinen ersten Lebensjahren. Ich glaube, dass ich jetzt diese Stabilität nicht nur zu geben bereit bin, sondern sie selber brauche, wenn ich mich weiterentwickeln will. Schließlich bin ich 38 Jahre alt und noch lange nicht „fertig“. Ein Hund könnte jenes stabilisierende Element sein. (Warum dann nicht gleich eine Familie gründen, wird sich da mancher fragen. Dazu bedarf es aber der Willenserklärung zweier Menschen, und den zweiten Menschen gibt es nicht in meinem Leben, jedenfalls jetzt nicht.)
     
    5
    FREITAG, 25. JUNI
    BOSMÉLÉAC - SAINT-CARADEC
     
    Dichter Nebel liegt wie ein dickes, graues Tuch über dem See, als ich am nächsten Morgen erwache. Erst beim Aufbruch etwa eineinhalb Stunden später - das ist meine übliche Zeit zum Frühstücken, Zeltabbauen und Rucksackpacken - lichtet er sich widerwillig und macht einem strahlend blauen Himmel Platz. Nach einer raschen „Pilgerwäsche“ (ich bin ja keine Katze) im See mache ich mich auf den Weg, der mich heute und auch morgen über weite Strecken die Rigole d’Hilvern entlangführen wird. Im Stausee von BOSMÉLÉAC wurde das Wasser gesammelt, das dann über die 62,5 Kilometer der Rigole (Wassergraben) die 235 Schleusen des Schiffskanals von Nantes nach Brest mit Nachschub versorgte. Auf das Gehen entlang der Rigole freue ich mich besonders, da der Treppelweg gemächlich, ohne Steigungen und immer im Schatten der Bäume, durch die hügelige, fruchtbare Landschaft der Bretagne mäandert. Hin und wieder verstärkt ein Blick auf weidende Rinder, auf wogende Mais- und Weizenfelder oder einen Kirchturm in der Ferne, abseits der großen Verkehrswege und Städte, noch mein Gefühl, mich auf einer Zeitreise weit zurück in die Vergangenheit zu befinden. Zudem habe ich seit gestern - in der Bar in Lanfains - keinen Menschen mehr gesehen, und fast erwarte ich, hinter einer der Wegbiegungen ein Pferdefuhrwerk auftauchen zu sehen, auf dem der Bauer seinen Mais zum
    Markt von SAINT-LÉON bringt. Doch was mich aus meinen Träumen weckt, ist nicht das Schnauben von Pferden in meinem Rücken, sondern ein vorsichtiges, sehr rücksichtsvolles Klingeln. Es sind zwei Männer in meinem Alter, die auf Fahrrädern ihre Morgenrunde an der Rigole drehen. Ich grüße und trete gleich zur Seite, um sie vorbeizulassen, doch der einsame Wanderer mit Rucksack, Stock und Hut hat ihre Neugier geweckt. Was hat denn den da hierher verschlagen? Und sie bleiben stehen, um dem Rätsel auf den Grund zu gehen. Unser sich in der Folge ergebendes Gespräch - mit großem Interesse folgen die beiden meinen Ausführungen über den

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