Auch Santiago hatte einen Hund
ganzjährig geöffnet. Noch größer wird die Überraschung, als sie sich als eine der schönsten Herbergen meiner langjährigen Pilgerlaufbahn entpuppt. Sie ist in einem frisch restaurierten Herrenhaus aus dem 13. Jahrhundert untergebracht und verfügt über eine komplett eingerichtete, moderne und saubere (!) Küche, zwei Schlafräume mit jeweils vier Betten, Klo und Duschen. Doch damit nicht genug der Überraschungen, denn die Herberge wird zum Schauplatz eines historischen Ereignisses - ich begegne meinem ersten Pilger! Eric, ein junger Mann aus Nancy, übernachtet hier auf seiner Rückreise aus Santiago. Er ist per Zug, Bus oder Autostopp unterwegs, kann aber mit seinem Pilgerpass weiterhin in den Herbergen übernachten oder schläft bei Freunden, die er auf seiner fast halbjährigen Reise kennen gelernt hat. Sein Herz geht über von seinen tollen Erfahrungen und er hört nicht auf, von den vielen faszinierenden Begegnungen zu erzählen, die er machen durfte. Das kann ich gut nachvollziehen. Ich sehe ihm aber auch an, dass er Angst davor hat, die wunderbare Welt des Jakobsweges, wo er als Pilger eine ganz besondere Identität hat, wo ihm Achtung entgegengebracht wird, zu verlassen und sich als einer von Millionen anonymer Menschen wieder in die Gesellschaft einzugliedern. Was wird er in einem Jahr, zurück in NANCY, wohl machen? Wird er diese Energie und Lebensfreude, die jetzt so stark bei ihm zu spüren sind, in den Alltag mitnehmen, in einen neuen Lebensentwurf kanalisieren können? Oder wird er „auf der Straße“ bleiben, zum frère de route werden? Die Versuchung ist groß, er wäre nicht der Erste. Später gesellt sich Christian zu uns, er wohnt in der Gegend und kommt, um Eric zu treffen. Sie sind gemeinsam von Cluny nach Le Puy gepilgert und wurden auf dem Weg zu Freunden. Heute wollen sie ihr Wiedersehen bei einem Festmahl feiern, Christian hat alle Zutaten dafür mitgebracht. (Mir kommt vor, als würden sich alte Kriegskameraden treffen, fast scheine ich zu stören.) Interessanterweise, eigentlich zum ersten Mal, werde ich nicht zum Mitessen aufgefordert, obwohl sie für mindestens vier Personen aufkochen und nachher jede Menge übrig bleibt. Aber auch mein Abendessen ist nicht ohne. Unterwegs habe ich massenhaft köstliche Wiesenchampignons „geerntet“ (es waren wirklich so viele, dass ich gar nicht alle mitnehmen konnte), daraus bereite ich ein Schwammerlgulasch, dazu gibt’s Reis -und Rotwein, eh klar. Und Eric quatscht und quatscht und quatscht. Hin und wieder gelingt es mir, ein oder zwei Worte beizusteuern, aber hauptsächlich konzentriere ich mich aufs Essen und Schreiben. Ist auch besser so, denn egal was ich erzähle, ich liefere nur Stichworte für eine weitere endlose Suada. Die Einsamkeit kann es aber nicht sein, die diesen Wortdurchfall auslöst (das könnte ich ja noch verstehen), denn laut eigener Aussage traf und trifft er ja andauernd Leute. Wahrscheinlieh ist er gerade erst dabei, eine überwältigende Ich-Erfahrung zu verdauen. Zum Glück schläft er im anderen Zimmer. Bin ich auch so nach einer Pilgerreise? Hoffentlich nicht!
Der Hund, der Mozart liebte
Da Ajiz im Alter - uns wird es sicher auch so gehen - ruhiger und bequemer wurde und mehr am beschaulichen Liegen und Dösen interessiert war als an aufregenden Entdeckungsreisen, waren auch meine Eltern öfter bereit, ihn für einen Nachmittag zu übernehmen, wenn ich einmal länger in der Stadt zu tun hatte, zu lange, um ihn überallhin mitzuschleppen. Sie mochten ihn sehr gerne, besonders meine Mutter, und freuten sich jedes Mal, wenn wir sie besuchten. Oft kauften sie extra für ihn Hundeleckereien, und wenn gerade einmal keine im Haus waren, musste halt ein Stück Wurst oder, noch besser, etwas Süßes - ein Schokoriegel oder eine Mannerschnitte - herhalten. Ajiz war wie alle Hunde ein richtiges Schleckermaul, weshalb es für meine Mutter ein Leichtes war, ihn mit Süßem zu sich zu locken. Mir war das gar nicht recht, versuchte ich doch permanent seinen Konsum an Schleckereien einzubremsen, weil diese ja - wir Hundebesitzer wissen das - für Hunde alles andere als gesund sind. Aber opportunistisch wie Ajiz nun einmal war, wog seine (hoffentlich) gute Erziehung in solchen Augenblicken weit weniger als die süße Verlockung, die von meiner triumphierenden Mutter ausging. Es bereitete ihr immer diebische Freude, wenn es ihr wieder einmal gelang, meine Autorität zu untergraben und Ajiz hinter meinem Rücken mit
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