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Auch sonntags Sprechstunde

Auch sonntags Sprechstunde

Titel: Auch sonntags Sprechstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Tibber
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Von der zurückhaltenden Großmutter beobachtet und von der Hebamme assistiert, unternahm ich alle nur möglichen Wiederbelebungsversuche, die aber ohne Erfolg blieben.
    »Ich möchte mein Kind sehen«, sagte Margaret leise.
    »Warum schreit es nicht?« fragte Mrs. Powell ängstlich und schaute auf das kleine blauangelaufene Wesen und vergaß zum erstenmal ihren kritischen Ton.
    »Ich denke, wir wickeln ihn ein und tragen ihn ins Nebenzimmer, Schwester.«
    Ich übergab ihn der Hebamme. Margarets Augen folgten mir.
    »Er ist tot, nicht wahr?«
    »Ja. Er ist tot.«
    Ihre Tränen liefen aufs Kopfkissen.
    »Vielleicht ist es besser so, Margaret.«
    Sie schüttelte den Kopf. Trotz ihrer Unreife war sie eine Frau, die nun für ihre Anstrengungen nichts erhalten hatte.
    »Du wirst mehr Kinder haben. Unter besseren Umständen.«
    »Ich möchte das nie wieder mitmachen. Niemals wieder könnte ich das. Niemals. Sind Sie sicher, daß er tot ist?«
    »Ganz sicher. Ich habe alles mit ihm versucht.«
    »Ich habe Strümpfe gestrickt. Einen auf jeden Fall.« Sie sah zur Wickelkommode hinüber, auf der einige grau-weiße Wollsächelchen lagen.
    »Einer hätte wenig genützt.«
    »Ja, das glaube ich auch. Einer hätte nichts genützt. Können Sie sich vorstellen, daß man nur einen Strumpf an hat und so auf der Straße herumläuft...?« Sie lachte hysterisch, die Tränen liefen über ihr müdes Gesicht, das im ersten Anflug der Mutterschaft beinahe schön aussah.
    Ich machte eine Spritze zurecht.
    »Uuuuuhh!«
    »So. Schon vorbei. Du sollst jetzt ein bißchen schlafen. Du hast viel durchgemacht. Ich komme später wieder und sehe nach dir.«
    »Ich denke, ich werde ihn Patrick nennen«, sagte sie schon halb im Schlaf. »Patrick, wie sein Vater.«
    Im Vorderzimmer schluchzte Mrs. Powell hemmungslos.
    »Sie können Ihren Kopf wieder hochtragen, Mrs. Powell«, sagte ich ziemlich unfreundlich. »Es muß kein uneheliches Enkelkind verleugnet werden.«
    »So ein winziger kleiner Kerl.«
    »Für Margaret ist es ein schwerer Schlag. Sie müssen ihr jetzt helfen, darüber hinwegzukommen. Sie braucht jetzt viel Liebe.«
    »Der Herr gibt, und der Herr nimmt.«
    »Sie werden vielleicht Depressionen bei ihr bemerken. Machen Sie ihr, bitte, keine Vorwürfe mehr.«
    Mrs. Powell sah beleidigt auf. »Ich? Vorwürfe? Ich werde kein Wort sagen.«
    Ich seufzte. »Sie braucht ein gutes Wort. Viele Worte, Freundlichkeit.«
    »Nach allem, was wir diese letzten Monate durchgemacht haben... «
    »Versuchen Sie sich vorzustellen, was Margaret in diesen letzten Stunden ausgestanden hat - ohne ein Resultat. Es ist ein starker psychischer Schock, Mrs. Powell. Es muß darauf eine Reaktion eintreten. Ich habe ihr jetzt ein Schlafmittel gegeben, aber wenn sie aufwacht, wird sie nach ihrem Kinde fragen. Sie müssen es ihr dann so vorsichtig wie möglich beibringen. Sprechen Sie über die Zukunft. Geben Sie ihr etwas, woran sie sich festhalten kann.«
    Mrs. Powell seufzte.
    Ich stellte fest, daß ich nur meine kostbare Zeit vertat, zog meinen Mantel an und nahm die Tasche zur Hand.
    »Ich werde heute abend spät nochmals hereinschauen. Wenn etwas Ihre Besorgnis erregt, dann rufen Sie mich an.«
    Vor dem Haus hielt mich ein pickelübersäter Junge in einem
    Motorradanzug an, der wartend auf der Maschine hockte und wie eine Gestalt aus dem Weltraum aussah.
    »Hat sie es?«
    »Wie bitte?«
    »Maggie. Das Kind.«
    »Ah! Du bist wohl Patrick?«
    Er blickte mich überrascht an. »Snorty. Nun eigentlich Ted, aber sie nennen mich Snorty wegen meiner näselnden Stimme. Ich und Margaret, wir gehen zusammen.«
    »Sie hat das Kind zur Welt gebracht, es lebt aber leider nicht.«
    »Darf ich zu ihr?«
    »Ich befürchte, das ist jetzt nicht möglich. Sie schläft. Vielleicht morgen.«
    Er holte einen Strauß nicht sehr frisch aussehender Rosen aus seiner Satteltasche und warf sie in den Rinnstein. »... wenn es tot ist, das arme kleine Ding... «
    Ich bückte mich und hob die Blumen auf. »Gib Margaret die Blumen. Sie wird sich mehr darüber freuen als je zuvor.«
    Ich stieg in meinen Wagen, glücklich, daß Margaret aus dem Unglück wenigstens Snorty und seine verwelkten Rosen geblieben waren.
    Ich hatte mir nicht klargemacht, wie mich dieser katastrophale Vormittag hergenommen hatte. Ich war überrascht, als ich auf die Uhr sah und feststellen mußte, daß es beinahe vier Uhr war, und fragte mich, ob ich zu spät zum Essen oder zu früh zum Tee zu Hause sein würde.
    In der Diele

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