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Auch sonntags Sprechstunde

Auch sonntags Sprechstunde

Titel: Auch sonntags Sprechstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Tibber
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schon im Gehen war.
    Ihr Gesicht leuchtete auf. »Ted. Er ist aus Wapping.«
    Als ob das etwas besagte. Ich fragte nicht, ob Ted etwas von dem Baby wußte.
    Ihre Schwangerschaft verlief vom ärztlichen Standpunkt aus ohne Komplikationen. Sie hatte die Schule so lange besucht, bis ihr Zustand offenbar wurde, dann blieb sie zu Hause und verspeiste pfundweise Schokolade, für die sie eine Schwäche hatte. Sie saß, die Füße hochgelegt, vor dem Kamin und vor dem Fernsehapparat. Ihre Mutter hockte Abend für Abend hinter den zugezogenen Vorhängen, die Lippen verkniffen, und strickte. Sie kaufte auch die Windeln und bestellte ein Kinderbettchen, denn Margaret kümmerte sich um nichts. Sie war ganz in Anspruch genommen von den Liebesfilmen und romantischen Sendungen, bei denen sie ihren dicken Bauch vergaß und sich selbst mit den ruhmreichen Heldinnen identifizierte. Die Schande war ins Haus Bridgemont Road 13 eingezogen, aber ihre Botin schien das nicht zu kümmern. Sie merkte nicht, daß ihre Mutter vormittags nicht mehr zum Einkäufen ging, wenn die Nachbarinnen unterwegs waren, und daß sie sich kurz vor Ladenschluß hinausstahl. Und falls sie festgestellt hatte, daß Mrs. Clarkson von Haus 15 und Mrs. Rogers von Nummer 11 nicht mehr kamen, um eine Tasse Zucker auszuleihen oder ein Schwätzchen zu machen, dann gab sie keinen Kommentar dazu ab. Sie wurde immer dicker und unbeweglicher. Die einzigen Gänge, die sie unternahm, führten zu mir in die Sprechstunde zu ihrer monatlichen, vierzehntägigen und dann wöchentlichen Untersuchung, bei denen ich ihr versichern konnte, daß medizinisch gesehen, alles tadellos war. Gegen meinen Willen sollte sie ihr Kind zu Hause zur Welt bringen, darauf bestand Mrs. Powell felsenfest. Sie wünschte nicht, daß ihre Schande von den Dächern des Städtischen Krankenhauses gepfiffen werden sollte.
    Nun war, wie ich aus Miss Nisbets Nachricht erfuhr, der Tag gekommen. Die Tür von Nummer 13 war angelehnt, offenbar wegen meines Besuchs, und die Vorhänge von Nummer 11 und 15 bewegten sich sacht, obgleich kein Lüftchen ging.
    Ich hängte meinen Mantel über das, Treppengeländer, Schreie drangen an mein Ohr, vermischt mit dem Geruch von abgestandenen Pommes frites. »Hilfe, ich sterbe. Wo ist der Doktor?«
    »Sei still, Margaret, wir alle haben das durchmachen müssen -«. : Mrs. Powells Stimme!
    »Nicht so. Nein, du bestimmt nicht. Hilfe!«
    Die Hebamme, die nicht gerade zu meinen Freunden zählte und die weder für Sympathie noch Verständnis berühmt war, tat ihre Pflicht exakt und unbeteiligt. Mrs. Powell stand mit verkniffenen Lippen am Fenster, und Margaret wand sich stark übertrieben auf dem Bett.
    Ich schickte Mrs. Powell hinunter, ließ mir von der Hebamme berichten, dann zog ich einen Stuhl ans Bett, um mit Margaret zu sprechen, deren Feuerprobe schlimmer war als alles, was sie sich in ihren wildesten Träumen vorgestellt hatte.
    »Können Sie mir etwas geben, Herr Doktor? Narkose oder so? Ich komme um, ich weiß, ich muß sterben. Warum hat mir keiner gesagt, daß es so sein wird: - Owwwwwwwh!«
    Ich wartete, bis die Wehe vorüber war. Als es soweit war, gab ich ihr die Maske und den Sauerstoffapparat in die Hand.
    »Nun hör gut zu, Margaret, du wirst nicht sterben. Alles ist natürlich, wie es sein muß, und ein Baby zu bekommen ist eben keine angenehme Sache. Du bist ein kräftiges Mädchen, und es gibt überhaupt keinen Grund, warum du das Kind nicht normal zur Welt bringen sollst. Das Schlimmste hast du beinahe hinter dir. Du mußt dich jetzt entspannen. Wenn du die Wehe kommen fühlst, lege die schwarze Maske über deine Nase und atme durch den Mund tief ein und aus.«
    Sie hielt die Maske an ihre Nase.
    »Nein, Margaret, noch nicht. Du hast doch jetzt gar keine Schmerzen.«
    »Aber sie könnten kommen.«
    »Du mußt warten.«
    »Bleiben Sie bei mir?«
    Ich ergriff ihre Hand. »Ja.« Ich dachte an mein volles Wartezimmer. »Ja, Margaret, wenn du mir versprichst, genau das zu tun, was ich sage, bleibe ich bei dir. Aber mach jetzt keinen Unsinn! Sei still, und die Hebamme und ich werden dir helfen.«
    Es war gut, daß ich geblieben war. Nach einer ziemlich ausgedehnten zweiten Phase, in der Margaret immer müder wurde und nicht mehr zu jammern fähig war und in der selbst Mrs. Powell in Bewegung geriet, wurden die Herztöne des Kindes schwächer und schwächer. Ich wußte, daß der Zeitpunkt für örtliche Betäubung gekommen war. Das Kind, ein Knabe, kam tot zur Welt.

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