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Auch sonntags Sprechstunde

Auch sonntags Sprechstunde

Titel: Auch sonntags Sprechstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Tibber
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mehr pünktlich zum Fernsehen nach Hause zu kommen. Dann entließ ich Mr. Sidcup mit detaillierten Instruktionen, wie er seinen Fuß zu behandeln habe, und rief über den Telefonsummer nach dem nächsten Patienten. Es kam jedoch niemand. Da mindestens fünfundzwanzig Menschen gewartet hatten, als ich zuletzt ins Zimmer geschaut hatte, hielt ich es für unwahrscheinlich, daß das Wartezimmer schon leer sein sollte.
    Ich läutete nochmals, lauter; wieder, ärgerlicher, wieder und fortgesetzt. Noch immer war ich allein. Es blieb mir nichts weiter übrig, als selbst nach dem Rechten zu sehen.
    Die Szene, die sich meinen Augen bot, war zu phantastisch, um sie beschreiben zu können. Die Patienten krochen allesamt auf Händen und Knien im Wartezimmer herum. Ich legte eine Hand an meinen Kopf, vielleicht hatte der Unfall mit dem Wagen eine Hirnverletzung bei mir verursacht, vielleicht Halluzinationen? Rund und rund krochen die Patienten auf allen vieren am Boden herum...
    »Sylvia«, schrie ich.
    Über ein Meer von Rücken blickte sie mich von Miss Nisbets Stuhl aus an.
    »Was ist denn hier los? Sind alle verrückt, oder bin ich es?«
    Sie wischte ihre Augen mit einem Stück Binde aus, das Miss Nisbet benützte, um die bezahlten von den unbezahlten Rechnungen, die beantworteten von den unbeantworteten Briefen getrennt zu halten.
    »Ich habe sie verloren... «, sagte Sylvia.
    »Was verloren?«
    Sie deutete auf ihre Augen. »Meine Linse. Ich nieste, und da ist sie einfach herausgefallen. Ich muß sie wiederfinden. Sie kosten vierzig Pfund das Paar und sind doch nur geliehen.«
    Ich ließ mich ebenfalls dort, wo ich stand, auf Hände und Knie nieder und tastete jedes Stückchen des Fußbodens mit den Fingerspitzen ab.
    Erfolglos. Mikro-Linsen waren nicht größer als ein kleiner Fingernagel und mit bloßem Auge beinahe unsichtbar. Es war so gut wie sicher, daß sie, war sie tatsächlich auf den Wartezimmerboden gefallen, bereits von jemandem zertreten worden war.
    Ich bat die Patienten, wieder Platz zu nehmen, holte Sylvias Brille, half ihr, die restliche Linse in die kleine Schachtel zu legen, und ging zurück an meine Arbeit.
    Später, sehr viel später, als Sylvia sich gemütlich im Bett installiert hatte und die Tageszeitung las, kam ich müde ins Schlafzimmer. Ich sagte: »Ich dachte, du wolltest die Linsen erst kaufen, wenn du das Honorar für dein Buch hast?«
    »Oh, ich habe es noch nicht«, sagte sie. »Sie waren auch nur zur Probe. Ich bin aber sowieso beim letzten Kapitel, und deshalb dachte ich, ich könnte sie jetzt schon anpassen lassen. Damit ich sie rechtzeitig für die Presse-Party habe.«
    »Wenn du nicht die eine davon zertreten hast... «
    »Es war Pech, daß ich niesen mußte. Ich hoffe, daß Mrs. Glossop sie morgen findet, wenn sie saubermacht. Man muß sich erst an sie gewöhnen, hat mir der Optiker gesagt. Aber es ist ein scheußliches Gefühl in den Augen.«
    Ich band den Schlips ab, seufzte und hoffte, daß sie heute abend der letzte Patient bleiben würde.
    »Komm näher zum Licht und laß mich mal sehen.«
    Sie rutschte über das Bett zu mir, und ich hob ihr Augenlid hoch.
    »Sylvia«, sagte ich scharf.
    »Ja?«
    »Ist das, was du gesucht hast und wonach fünfundzwanzig Patienten auf Händen und Knien im Zimmer herumgerutscht sind, ein kleiner runder Gegenstand, konkav in der Form und leicht getönt?«
    »Ja, natürlich. Und ich habe gedacht, ich würde sie nie Wiedersehen! «
    »Die Linse sitzt unter dem oberen Lid. Wenn du sie vorsichtig mit deinem Finger von außen am Lid herunterdrückst, wird sie auf die Pupille zurückrutschen, von wo man sie auf die übliche Weise wegnehmen kann.«
    »Du meinst, sie hat die ganze Zeit dort gesteckt?«
    »Ja.«
    »Na, hättest du das gedacht?«
    »Heute halte ich alles für möglich.«
    Mit Hilfe ihres Taschenspiegels brachte Sylvia die widerspenstige Linse in die richtige Lage, entfernte sie mit einem Schlagen ihres Augenlids, fing sie gekonnt mit der Hand auf und legte sie in die kleine Schachtel zu der anderen.
    »So ist es besser«, lächelte sie. »Es hat meine Augen ganz krank gemacht. Wie klug du bist, mein Liebling.«
    Einen Moment später saß sie aufrecht im Bett.
    »Was ist denn nun schon wieder?« fragte ich müde und mißtrauisch und hängte meine Hose auf.
    »Miß Chalker!«
    »Was ist mit ihr?«
    »Alle die Schlipse und Hemden und Taschentücher und Sachen, die sie dir schenkt!«
    »Ich wüßte nicht, wie ich meinen Ruf als bestangezogener Arzt

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