Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Auch sonntags Sprechstunde

Auch sonntags Sprechstunde

Titel: Auch sonntags Sprechstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Tibber
Vom Netzwerk:
sein.«
    »Und meine Patienten auch«, sagte ich und gab dem Polizisten meine Karte. »Ich muß jetzt gehen.«
    Der Polizist öffnete meine Wagentür. »Tut mir schrecklich leid, Sir, aber ich habe durch die Leute einen ganz falschen Eindruck gehabt. Möchte Sie nicht länger auf halten.« Er griff grüßend an die Mütze, und ich spürte den bubenhaften Zwang, den Leuten, die auf der Straße standen und mich am liebsten gelyncht hätten, die Zunge herauszustrecken.
    Sylvia machte mir die Haustür auf; Tränen liefen über ihr Gesicht.
    »Die Patienten im Wartezimmer sind schon halb verrückt«, sagte sie, »und Miss Nisbet telefoniert überall nach dir herum. Wir hatten Angst, daß dir etwa passiert ist.«
    »Ich werde es heute kurz machen«, sagte ich und war schon aus dem Mantel. »Und was ist mit dir los?«
    Sie sah mich aus geröteten, tränenden Augen an. »Meine Kontaktlinsen! Ich war beim Optiker und probiere sie jetzt aus. Ich muß sie zwei Stunden drinbehalten. Es ist gemein.«
    Sie tastete den Weg zur Küche zurück, und ich ging in das Sprechzimmer. So wie es aussah, würde es Stunden dauern. Miss Chalker war die erste. Sie brachte mir ein halbes Dutzend Taschentücher mit meinem Monogramm und präsentierte außerdem eine vereiterte Zehe. Die nächste war Margaret Powell, die ich seit der Entbindung nicht mehr gesehen hatte. Sie kam lächelnd herein.
    »Nun, Margaret, was kann ich für dich tun?«
    »Nichts, Herr Doktor«, sagte sie und streckte mir geziert ihren Ringfinger entgegen, an dem ein Ring mit einem billigen Stein prangte. »Ich und Snorty heiraten. Ich wollte Sie bitten, mir die Fotos für meinen Ausweis zu bestätigen.«
    Heiraten! Ich fragte mich, was aus ihren Träumen vom Film, China und der Heirat mit dem Lord geworden war.
    »Meinen Glückwunsch. Ich freue mich, das zu hören. Sehr
    sogar.«
    »Wir bekommen ein Zimmer bei Snortys Mutter in Wapping, ganz nahe beim Fluß, was sehr nett ist, und die Läden sind auch in der Nähe...«
    Ich erinnerte mich an ihre Spöttereien über ihre eigene Mutter, die nur mit dem Milchmann, dem Supermarkt und den Rabattmarken beschäftigt war...
    »...  und ein neuer Supermarkt ist auch gerade eröffnet worden. Natürlich wird es nicht lange dauern.«
    »Was wird nicht lange dauern?«
    »Daß wir bei Snortys Mutter wohnen.«
    »Warum nicht?«
    »Na, gehen Sie. Raten Sie mal!«
    Ich seufzte. »Vielleicht wird er einmal Premierminister werden, oder ein Popsänger, oder ein Lord oder so etwas... «
    »Nein«, sagte Margaret ernst. »Ich möchte lieber ein Mädchen haben, dann... «
    »... wird sie eines Tages Filmstar werden«, fügte ich hinzu.
    »Ja, genauso. Berühmt, sagt Snorty. Wir heiraten am Wochenende.«
    Ich Unterzeichnete die Paßfotos.
    »Auf Wiedersehen, Margaret. Ich hoffe, du wirst glücklich werden.«
    »Oooh, das bin ich schon«, sagte Margaret. »Snorty hat mich völlig umgekrempelt.«
    Von draußen ertönten Hupsignale.
    »Wette, das ist Snorty. Ich liebe ihn sehr.«
    Sie ging wie im Traum hinaus, während Mrs. Pertwee in mein Sprechzimmer hereinplatzte.
    »Verzeihung, wenn ich Sie störe, Herr Doktor, aber Miss Nisbet ist es schlecht geworden.«
    Das Wartezimmer war so voll, daß ich kaum bis zu Miss Nisbets Büro vordringen konnte, wo sie erbsgrün und stöhnend saß.
    Ich fühlte ihren Puls, er war normal.
    »Ich glaube, mir wird schon wieder schlecht... «
    »Nein, bitte, Miss Nisbet, nicht hier. Sie haben offenbar heute mittag etwas gegessen... «
    »Ooooh«, jammerte Miss Nisbet, »Ronald sagte... «
    »Warten Sie nur eine Minute, ich hole meine Frau.«
    Ich rannte ins Haus. Sylvias Gesicht war noch immer tränenfeucht, ihre Augen gerötet.
    »Um Himmels willen, komm und paß aufs Telefon auf und übernimm die Kartei«, sagte ich, »und bring ein Tuch. Miss Nisbet ist es schlecht geworden.«
    »Ich kann doch überhaupt nichts sehen«, sagte Sylvia und deutete auf ihre Augen. »Und ich muß noch eine halbe Stunde warten. Und außerdem bin ich dabei, holländische Soße zu machen, die ewig nicht dick wird.«
    »Laß die Soße stehen«, rief ich, »ich komme allein nicht zu Rande.«
    Mr. Pointer erbot sich, Miss Nisbet in seinem Wagen nach Hause zu fahren, und die rotäugige Sylvia versuchte vergeblich, sich in der Kartei zurechtzufinden.
    Ich fertigte noch ein weiteres halbes Dutzend Patienten ab, die höchst angeregt durch das Drama waren, dessen Zeuge sie in meinem Wartezimmer sein durften, und die sich damit abgefunden hatten, nicht

Weitere Kostenlose Bücher