Auch sonntags Sprechstunde
befriedigen.«
»Wir werden literarisch!«
Sylvia gähnte. »Stimmt. Wenn sie ein oder zwei Geschäftsleute, ein Artistenehepaar und einen Kammerjäger einladen würden, wäre der Abend gerettet.«
»Noch langweiliger konnte es wirklich nicht sein. Patienten, Autos, Golf! Klagen, Jammern, Stöhnen.«
Ich liebte es, Fälle mit meinen Kollegen zu diskutieren, aber diese öden, quasi-sozialen Abende waren einfach zu viel. Niemals wieder, schwor ich mir, als ich die Treppe hinaufstieg, niemals wieder.
An unserer Schlafzimmertürklinke hing ein Zettel, er war aus einem Schulheft herausgerissen worden und trug Peters Handschrift. »Lieber Vati, Doktor True hat angerufen und gesagt, daß lervinnier morgen neun Uhr kommt. Kuß von Deinem Peter.«
Sylvia las über meine Schulter mit. »Wer oder was ist lervinnier«
»Ich kann mir nur denken, daß es sich dabei um unsere neue Sprechstundenhilfe handelt. Herbert versprach, eine zu schicken.«
Der Groschen fiel. »Oh«, sagte Sylvia, »Lavinia!«
Sie war wie der Blitz ausgezogen und im Bett, wo sie es sich, umgeben von viel Papier, gemütlich machte.
»Was machst du da?«
»Ich will die Pariser Reise ausarbeiten. Ich denke, Sonntag früh gehen wir zuerst zum Vogelmarkt, gleich wenn wir ankommen, und
vielleicht noch zum Bateau Mouche. Nachmittags zum Unesco-Gebäude, da gibt es einen Garten, der von Isamu Noguchi entworfen worden ist. Er soll märchenhaft sein. Montags ist natürlich alles geschlossen, wir können in den Bois und auf den Eiffelturm fahren, Dienstag zum Jardin des Plantes und Jardin d’Acclimatation. Ich werde dich dort mit den Kindern allein lassen und ein bißchen einkaufen gehen... «
Ich band den Schlips ab. »Ich bin bereits jetzt erschöpft. Würdest du freundlicherweise nicht vergessen, daß wir die Kinder bei uns haben und eine Erholungsreise machen wollen. Was mich anbetrifft, wird es mir völlig genügen, irgendwo in einem Boulevard-Café zu sitzen und die vorbeiflanierende Menge zu beobachten, ohne mich endlich einmal um ihre Gebrechen, Schmerzen oder Plattfüße kümmern zu müssen.«
»Aber die Kinder sind doch zum erstenmal in Paris!«
»Glaubst du etwa, sie werden sich nächstes Jahr noch an irgendeine Einzelheit erinnern, ausgenommen vielleicht an etwas Eßbares? Sie sind, wie du weißt, erst elf.«
Sylvia begann die Papiere einzusammeln. »Es wird dir noch leid tun, wenn wir erst dort sind.«
»Ach, sei doch nicht gleich beleidigt. Ich meine es schließlich nicht so. Aber du mußt das nicht heute nacht alles machen.«
»Wir reisen bereits am Sonntag.«
»Heute ist schließlich erst Mittwoch.«
»Am Freitag esse ich mit meinem Verleger.«
»Und morgen?«
»Morgen werde ich den ganzen Tag unterwegs sein.«
»Wohin willst du denn?«
»Ich erzähl’ dir alles, wenn ich zurück bin.«
»Also wieder kein Essen, nehme ich an. Ehrlich, Liebling, du wirst immer eigenartiger. Wenn ich das gewußt hätte, als ich dich heiratete... «
»Unser Ehevertrag enthält ganz entschieden kein Wort darüber, daß ich verpflichtet bin, mitten in der Nacht die Tür zu öffnen, verstaubte alte Briefe einzuordnen oder Urinuntersuchungen zu machen. Wenn du das gehofft hast, hättest du besser Sally geheiratet.«
»Nein«, sagte ich. »Ich konnte Mädchen mit Schnurrbart noch niemals ausstehen.«
Immerhin war sie pünktlich.
Mit dem Glockenschlag neun läutete es an der Haustür. Ich befand mich auf dem Weg zum Wagen, um etwas zu holen.
Ihr Anblick warf mich beinahe auf die Kokosmatte.
Sie streckte mir eine in einem Lederhandschuh steckende Hand entgegen. »Lavinia«, sagte sie. »Herbert hat mir erzählt, daß Sie mich brauchen.«
Ich fand diese Formulierung seltsam. Sie hatte rötlich-braunes Haar, das kurz geschnitten um ein mit Sommersprossen bedecktes Gesicht lag. Sie trug ein hautenges weißes Strickkostüm, das ihre Figur deutlich hervortreten ließ, und nur ihre Augen zeigten Make-Up.
Unglücklicherweise kam genau in diesem Augenblick Sylvia, einen Schal um den Kopf geschlungen, Creme auf dem Gesicht und einen Staublappen in der Hand, die Treppe hinunter. Mrs. Glossops Sohn hatte einen Arthritisanfall gehabt, und Mrs. Glossop hatte zu Hause bleiben müssen, um ihn zu pflegen. Sylvia war dabei, im Haus das Allernotwendigste zu tun, ehe sie in die Stadt ging.
Sie warf von der Treppe aus einen Blick auf Lavinia, dann verschwand sie, den Kopf hoch erhoben wie der Kaiser in seinen neuen Kleidern, in die Küche.
»Ich wußte nicht, ob
Weitere Kostenlose Bücher