Auch sonntags Sprechstunde
nahm Sylvia bei den Schultern. »Glückwunsch, Liebling, es ist wirklich großartig, aber ich bin völlig fertig nach der Sprechstunde, so ganz ohne Hilfe, und ich möchte gern etwas essen.«
»Essen«,-sagte sie, als sei das etwas Obszönes, und sah auf ihre Uhr. »Mein Gott, ich habe überhaupt noch nichts getan. Beim Schreiben vergißt man ganz die Zeit. Ich wußte nicht, daß es so spät ist. Er wurde nämlich am Ende doch nicht gestrichen, weißt du, und alle leben glücklich zusammen, und ich mußte weinen, so hat mich das aufgeregt. Das Buch ist tatsächlich fertig, und ich glaube nicht, daß in der Speisekammer noch... «
»Hör- zu, beruhige dich«, sagte ich. »Gib mir einfach eine Dose Bohnen, damit bin ich völlig zufrieden. Robin ist zurück, er ist schon bei der Arbeit. Ich werde mir einen ruhigen Abend machen und hoffentlich eine ungestörte Nacht haben. Was siehst du mich denn so an?«
Sie stand stockstill und japste.
»Hast du vergessen...?«
»Was?«
»Daß wir zu den Overnells eingeladen sind.«
Ich hatte es vergessen. Vielleicht, weil ich mich nicht daran zu erinnern wünschte. Von allen Abendeinladungen, die höllisch waren, waren die der Overnells die teuflischsten.
»Am besten rufst du an und sagst, ich müsse zu einer Entbindung.«
»Das haben wir das letzte Mal schon gesagt.«
»Oder, du fühlst dich nicht wohl.«
»Das vorletzte Mal... «
»Liebling, ehrlich gestanden, glaube ich nicht, daß ich den Abend bei den Overnells überstehen werde, ohne dort aus der Haut zu fahren.«
Sylvia hatte sich in einen Hausmantel gehüllt, dessen Gürtel sie eng um ihre niedliche kleine Taille band.
»Ich mache jetzt eine Dose Bohnen auf, Liebling, und koche Kaffee, und dann wirst du dich gleich wohler fühlen.«
»Vielleicht, wenn ich Lammbraten und eine Flasche Chateau Pétrus Jahrgang 1959 bekommen würde.« Ich übersah ihren Blick. »Also gut, gut, ich weiß, daß du nicht gleichzeitig schreiben und kochen kannst. Aber die Overnells heute abend sind einfach zu viel.«
Eine Stunde später standen wir, angefüllt mit gebackenen Bohnen und angebranntem Toast, auf den blankpolierten Treppen vor dem Overnellschen Haus. Wenn es etwas gab, das ich mehr als alles haßte, waren es diese Ärzte-Abende, von denen Clive und Carrie Overnells Einladungen die schlimmsten waren. Seit Clive zu unserem Bereitschaftsdienst gehörte, mußten wir freundschaftliche Beziehungen zu ihm unterhalten und mindestens eine von sechs ihrer fortgesetzten Einladungen besuchen. Nicht, daß die Overnells schlecht gewesen wären. Das ganze Drum und Dran störte mich. Sie waren zu nett. So nett, daß sie langweilig waren. Clive war der praktische Arzt par excellence, und Carrie die perfekte Ehefrau. Doch damit nicht genug. Zu unser aller Verdruß oblag Clive nicht nur seinen Pflichten im Bereitschaftsdienst auf das perfekteste, er war auch ein vorbildlicher Familienvater, der buk und Reparaturen im Haushalt ausführte. Und überdies war er ein Ausbund an Höflichkeit.
»Wenn Carrie heute wieder sagt, wir sollen von dem Schokoladekuchen probieren, den Clive gebacken hat, dann gehe ich postwendend nach Hause«, sagte ich drohend zu Sylvia, als ich läutete und damit ein abscheulich spießiges Glockenspiel in Gang setzte.
»Sei doch still!« zischte Sylvia. »Man kann dich hören.«
Wahrscheinlich hatten sie es gehört. Eine Sekunde später riß Clive Haustür und seinen breiten Mund weit auf.
»Wie wunderschön, euch zu sehen. Ich bin glücklich, daß ihr gekommen seid. Es ist ja eine Ewigkeit her, seit wir uns das letztemal gesehen haben... « blubb, blubb, blubb... Er nahm Sylvia den Mantel ab, hängte ihn auf einen Bügel, knöpfte ihn zu und trug ihn zum Dielenschrank, in dem er verschwand. Dann nahm er meinen
Mantel, den ich unachtsam auf einen Stuhl geworfen hatte, und behandelte ihn im gleichen Ritus.
Das schäbige Wohnzimmer bot den gewohnten Anblick, die dunkel gekleideten Damen hatten auf einer Seite Platz genommen, und ihre mit Füßen getretenen, beklagenswerten Ehemänner saßen auf der anderen Seite.
Nachdem Carrie uns begrüßt hatte, erzählte sie uns stolz, daß das Kleid, das sie trug und das ein besonders scheußliches Grün zeigte, von Clive ausgewählt worden sei. Sylvia nahm bei den Frauen Platz und ich bei den Männern. Dank unserer verspäteten Ankunft lagen die Gespräche über Golf und Autos bereits hinter uns, man war jetzt gerade bei den »Nachtanrufen«.
Clive goß zwei Gläser eines
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