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Auch sonntags Sprechstunde

Auch sonntags Sprechstunde

Titel: Auch sonntags Sprechstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Tibber
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öffnete das Fenster. Überall war »Miss Diorling«.
    »Hier riecht’s ja wie in einem Puff«, sagte Robin, als er von den Visiten zurückkam.
    »Warte nur, bis du sie gesehen hast. Schön und tüchtig. Zumindest werden wir mit unserer Korrespondenz wieder aufs laufende kommen.
    »Und wie heißt sie?«
    »Lavinia.«
    »Lavinia...?«
    Ich überlegte einen Augenblick. »Den Nachnamen weiß ich nicht.«
    Ich öffnete eine Dose Sardinen zum Mittagessen und dachte dabei an den Lieblingsausspruch meines alten Lateinlehrers: Facile dictur, difficile factum, wischte das Sardinenöl vom Küchenboden auf, wünschte, wir hätten eine Katze und fühlte mich leicht gekränkt, weil die tüchtige Lavinia sich nicht erboten hatte, dazubleiben und mir etwas zu kochen. Fünf Minuten vor zwei ging ich, bereits gewaschen, nach oben, kämmte mein Haar und nahm etwas von dem Rasierwasser, das Sylvia mir zu Weihnachten geschenkt hatte und von dem die Reklame versprach, es würde einen Mann unwiderstehlich machen. Ich überlegte, ob ich meinen Schlips wechseln sollte, unterließ es aber schließlich. Um zwei Uhr auf den Glockenschlag läutete es an der Tür.
    Ein junger, gesund aussehender Mann stand auf der Treppe. »Guten Tag, Sir. Wenn ich Ihnen einige Minuten von Ihrer Zeit stehlen darf, ich sehe aus Ihrem Sch-sch-sch-schild, daß Sie Arzt sind und ein b-b-b-b-beschäftigter Mann... «
    »Und was wünschen Sie?« Ich hatte bereits in meine Tasche gegriffen und suchte nach einer Münze.
    »Ich möchte, Herr Doktor, falls Sie einen Moment Zeit haben, nur einen Moment, der, so möchte ich sagen, vielleicht Ihr ganzes Leben ändern kann, über die B-b-b-b-bibel mit Ihnen sprechen... «
    »Die Bibel?«
    »Die B-b-b-bibel: wir besuchen jedes Haus, wissen Sie, und... «
    »Es tut mir entsetzlich leid, aber daran bin ich wirklich nicht interessiert.«
    »Das mag schon sein, Herr Doktor. Bitte, glauben Sie nicht, daß ich das nicht verstehe... «
    Ich warf die Tür hinter seinen freundlichen Absichten ins Schloß.
    Es wurde zwei Uhr fünfzehn, zwei Uhr dreißig, zwei Uhr fünfundvierzig, dann drei Uhr.
    Wieder läutete die Türglocke. Vielleicht hatte ich sie mißverstanden, und sie hatte statt zwei Uhr drei Uhr gesagt?
    Robin stand vor der Tür. »Entschuldige. Ich habe meinen Schlüssel vergessen.«
    »Ich dachte, es wäre Lavinia.«
    »Sehe ich etwa so aus?«
    »Eigentlich nicht. Sie hat gesagt, daß sie um zwei Uhr wiederkommt. Ich habe ihr den halben Vormittag diktiert.«
    Robin blickte auf seine Uhr. »Die wirst du wohl das letztemal gesehen haben.«
    »Ich verstehe das nicht. Herbert sagte, sie sei zuverlässig. Vielleicht hatte sie einen Unfall oder irgend etwas... «
    Robin sah mich forschend an. »Unfall, mein Gott... «
    Ich rief Herbert an. »Hör mal, Herbert, das Mädchen, das du heute vormittag geschickt hast... «
    »Lavinia? Ach ja. Es tut mir furchtbar leid, aber ich habe da einen Perser, Öl in großem Umfang, der dringend verreisen mußte, und da seine Sekretärin sich den Daumen in der Tür eingeklemmt hatte, mußte ich ihm Lavinia mitgeben.«
    »Aber, Herbert, ich habe ihr den halben Vormittag Briefe diktiert!«
    »Kannst du denn niemand anderen finden, der sie in die Maschine schreibt?«
    »Nein, das kann ich nicht«, sagte ich wütend. »Denn sie hat den Stenoblock mitgenommen.« Ich warf den Hörer hin, schwor mir, niemals wieder mit Herbert zu sprechen und versuchte mich zu erinnern, ob das Wort, das Herbert in bezug auf Lavinia benützt hatte, tatsächlich »zuverlässig« gewesen war.
    Ich verbrachte den restlichen Nachmittag am Telefon mit der Stellenvermittlung, um eine Sprechstundenhilfe zu engagieren.
    »Ich werde dich keinesfalls nach Paris fahren lassen, solange ich hier keine Hilfe habe«, sagte Robin drohend. »Ich verstehe auch nicht, warum Miss Nisbet nicht geblieben ist. Die meisten Frauen arbeiten in diesem Zustand oft bis zum neunten Monat, und manchmal sogar länger.«
    »Sie würde sowieso nicht mehr in ihr Büroeckchen passen. Aber es liegt gar nicht an ihr, Ronald ist es. Er erlaubt es einfach nicht.«
    »Du hättest mir das überlassen sollen«, sagte Robin. »Solche Dinge machst du nicht richtig. Man muß die richtigen Worte finden.«
    Ich schrieb ihm Miss Nisbets Adresse auf ein Stückchen Papier.
    »Hier hast du die Adresse. Ronald kommt Punkt sieben heim, weder eine Minute vorher noch nachher. Ich rate dir, zu warten, bis er gegessen hat.«
    »Erzähl deiner Großmutter keine Märchen«, sagte

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