Auch unter Kuehen gibt es Zicken
des is a Preiß.«
Wir sind auf der Alm unter Unsresgleichen. Und die, die auf Pilatus zeigen und »Steinbock!« exklamieren, das sind die »Preißn«. Wie sie laut reden. Und wie viel sie reden. Und worüber! GPS -Daten. Sie müssen nur kurz checken, wo sie sind. Dabei sitzen sie doch schon auf der schönsten Alm! Warum schauen sie nicht in die Berge? Oder hinaus ins Tal. Da sieht man doch viel besser, wo man ist.
Vor nicht langer Zeit hab ich noch gesagt, »Gäste kann ich im Schlaf«. Aber schon am ersten Sonntag fange ich an, an ihnen zu verzweifeln. Ich komme mir vor wie ein Ausstellungsstück in einem Kuriositätenladen. Ich bin die Milch produzierende Sennerin. Ich bin Fürsorge, Fruchtbarkeit, Versorgung, Geselligkeit und was weiß ich, was noch. »Was sagt denn da dein Freund, wenn du hier den ganzen Sommer alleine auf der Alm bist?« Ha, ha.
Hias ist der wortkarge Almbauer, Eigenbrötler, Bergmensch, von dem man nicht weiß, was er in Vollmondnächten macht. Und Pilatus ist der Steinbock. Punkt. Sie sehen ja Pilatus’ Hörner. Ganz egal, was ich sage, und ich sag täglich bis zu zehnmal: Ziegenbock. Und sie sagen immer wieder: Steinbock.
Sie wollen lieber einen Steinbock an der Wand als einen Ziegenbock. Also haben wir jetzt einen Steinbock. Pilatus. Der sagenumwobene Steinbock vom Gana-Stoa. Geschossen in einer Gewitternacht, mit einer fehlgeleiteten Kugel.
Die Gäste kriegen eine Gänsehaut davon.
Dann, am Nachmittag, halb drei. Der Touristenansturm hat Spuren in der Hütte hinterlassen. Auf der Bank neben der Kuchenvitrine hockt der Hampi und füttert den Herrn Fink mit Marmorkuchenbröseln. Ich brühe frischen Kaffee auf. Das ist ein ausgefuchstes System. Auf dem Herd kocht dasWasser. Die beiden großen Kannen stehen auf dem Stuhl ohne Lehne, neben dem Herd. Auf den Kannen hocken zwei Plastikkaffeefilteraufsätze, mit Kaffeepulver drin. Ich schütte das kochende Wasser mit einem riesigen Schöpflöffel in die Filter. Langsam. Ab und zu muss ich den Filter hochheben, damit ich keine Kaffeeüberschwemmung anrichte, eins meiner Spezialgebiete. Mitten in meine meditative Schöpfer-ins-heiße-Wasser-Tauchewegung latscht ein kleines Mädchen. Mitten in die Hütte. Sie zieht ihren Vater an der Hand hinter sich her. Kritisch schaut sie sich um. Sie kaut auf einem von ihren geflochtenen Zöpfen. Die freie Hand hat sie in die Hüfte gestemmt. So, sagt ihre ganze Haltung. Da bin ich.
Manche Frauen, und die beneide ich aus tiefstem Herzen, haben das schon drauf, bevor sie krabbeln können. Was für eine Gabe. Was für eine Power.
»B’stell mir fei bloß koa Kaasbrot«, schnabelt die Kleine zu ihrem Vater hinauf. Ich muss aufhören, Kaffee aufzugießen, sonst verschütt ich das heiße Wasser mitsamt den vollen Kaffeefiltern. Ich starre sie an. Natürlich erwischt sie mich dabei. »Griaß di! I bin d’ Sophie.«
»Griaß di«, antworte ich. Und wünsche mir, dass ich einmal, nur für einen Tag, auch so sein kann.
Mein vorsorglicher Blick erfasst, dass Sophies Papa zuerst in Ruhe die Speisekarte studieren muss, bevor ich ihn nach seiner Bestellung fragen kann. Also tauche ich meinen Schöpfer erneut ins kochende Wasser.
»Wos machst’n du do!«
»Kaffee.«
»D’Mama trinkt aa immer Kaffee.«
»Aha.« Ich schütte vorsichtig den vollen Schöpfer in den Filteraufsatz. Zwölf Löffel Kaffee sind da drin. Und einer oben drauf, für’n Geschmack. Kaffee abmessen ist unantastbares Hoheitsgebiet vom Hias. Ich hab das nur einmal gemacht. Ich habe jeden Handgriff genauso – exakt genau so – gemacht wie er: eins – zwei – drei – vier … zwölf Löffel Kaffee,und einen extra für’n Geschmack. Das war trotzdem nicht dasselbe. Das war gar nix, um die Wahrheit zu sagen. Seitdem stelle ich nur den leeren Filter auf die leere Kanne, wenn der Kaffee aus ist. Und auf der Ganai gibt’s wieder den besten Kaffee, den ich in meinem ganzen Leben getrunken habe. Irgendwas macht er noch, der Hias. Irgendwas, das nichts mit der Anzahl der Kaffeelöffel zu tun hat. Nichts mit dem Kaffeepulver und nichts mit dem Wasser. Es ist sein Geheimnis.
»I find Kaffee greislig!«
Was?
Klein Sophie.
Ich muss meinen Zeigefinger davon abhalten, wild an mein kaffeesüchtiges Hirn zu tippen. Tock-tock-tock-tock-tock! Kaffee und greislig! Wo sama denn! Aber mit Gästen fang ich keinen Streit an. Erst recht nicht, wenn sie nur 1,10 Meter hoch sind. Ich linse unter den Filter. Herrlich duftender Dampf steigt aus der Kanne.
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